Der neueste, sechste Kriminalroman von Alfred Bodenheimer heißt In einem fremden Land. Ein Jerusalem-Krimi. Titel und Untertitel sind absolut kein Widerspruch. Denn die Handlung verlegt der in der Schweiz und in Israel lebende Autor, hauptberuflich akademischer Leiter des Zentrums für Jüdische Studien in Basel, wie schon in seinem vorletzten Buch Mord in der Straße des 29. November zum einen in die israelische Hauptstadt. Dort lebt und arbeitet die Polizeipsychologin Kinneret »Kinny« Glass, die der Autor zum zweiten Mal ermitteln lässt.
Das fremde Land, das ist zum anderen die bei Israelis sehr beliebte Insel Zypern. Dort besitzt der ehemalige Polizist Miki Yanoff nämlich ein Ferienhaus, das zumindest im Zentrum der Handlung steht, was den rätselhaften Todesfall betrifft. Yanoff, Anfang 60, hatte den Polizeidienst verlassen, nachdem seine Bewerbung zum Jerusalemer Distriktchef nicht erfolgreich war.
Inzwischen »hatte er bei verschiedenen Aufenthalten im Ausland festgestellt, dass jedermann darauf zu brennen schien, israelisches Sicherheitspersonal zu engagieren, und das war sein Geschäftsmodell geworden«, wie Bodenheimer schreibt.
Ein Ferienhaus in Zypern
Und zwar ein so erfolgreiches, dass er neben seinem feudalen Jerusalemer Wohnsitz auch ein Ferienhaus auf der Mittelmeer-Insel erwerben konnte.Und so will es der Plot, dass er dieses Haus seinem früheren Arbeitskollegen Uriah Zunder für einen Aufenthalt überlässt. Der will dorthin, wohin es Yanoff seinerzeit nicht geschafft hatte – auf den Posten des Jerusalemer Distriktchefs –, möchte vorher aber eine kurze Auszeit.
Doch dann stirbt er während seines Zypern-Aufenthalts einen mehr als rätselhaften Tod. Ein Tod, der Kinny Glass, bei der Yanoff kurz vor seiner Abreise noch professionellen Rat gesucht hatte, gerade deshalb keine Ruhe lässt. So ermittelt sie erneut. Nicht zuletzt, weil die offiziellen Ermittlungen der israelischen Polizei in puncto Genauigkeit und Kompetenz anfänglich so gar nicht nach dem Geschmack der geschiedenen Psychologin ausfallen.
Alfred Bodenheimer als akkurater Beobachter (auch) der israelischen Gesellschaft wäre natürlich nicht Bodenheimer, würde er nicht die nahezu aktuelle Situation des Landes in die Handlung einfließen lassen (auch die Lösung des Kriminalfalls hat damit zu tun, doch mehr sei hier nicht verraten). Das Buch wurde im Sommer 2023 geschrieben – die Proteste auf den israelischen Straßen waren wie jetzt zahlreich, richteten sich aber damals »nur« gegen die geplante Justizreform der Regierung von Benjamin Netanjahu und konnten noch keine Konsequenzen aus dem 7. Oktober fordern.
Polizeipsychologin Kinny hat Sympathien für die Demonstrierenden
Kinny, die in diesen aufregenden Sommer-Wochen auch noch zum ersten Mal Großmutter werden wird, hat eigentlich Sympathien für die Demonstrierenden, traut sich aber als Staatsbedienstete nicht offen, diese zu zeigen. Darum »begibt sie sich immer hinter die Absperrung, die das Gebäude der Residenz (des Ministerpräsidenten) von der Straße trennte, wo die Menschen mit ihren Landesfahnen standen. Hier ging nur ab und zu jemand von den diensthabenden Beamten durch, mit denen sie zuweilen ein kurzes Gespräch führte«, wie es lakonisch heißt.
Doch es gibt noch weitere Gründe, warum sie die politische Situation teilweise ausblendet: Da sind zum einen ihre betagten Eltern, um die sie sich kümmern muss, seit ihr Bruder in New York lebt. Außerdem ist da die wiederauferstandene Beziehung mit Helmut, den sie während ihres Studiums in Deutschland kennen und lieben gelernt hatte und der nun auf einmal wieder in ihr Leben drängt – und sie von den politischen Geschehnissen ihres Landes ablenkt.
Aber nicht so stark, dass sie Uriah Zunders Tod nicht aufklären könnte, fast nebenher, wie es scheint. Die Lösung des Plots ist wie oft bei den Bodenheimer-Krimis nicht wirklich eine Überraschung, sondern eher erwartbar. Dem Lesevergnügen tut dies aber auch diesmal keinen Abbruch.
Alfred Bodenheimer: »In einem fremden Land«. Kampa, Zürich 2024, 244 S., 17,90 €