Mit dem Franzosen Serge Haroche und dem Amerikaner Robert J. Lefkowitz sind – beinahe schon traditionell – auch dieses Jahr zwei jüdische Wissenschaftler unter den Nobelpreis-Geehrten. Beide sind in den letzten Kriegsjahren geboren, allerdings außerhalb Europas. Lefkowitz kam am 15. April 1943 in einer polnisch-jüdischen Familie auf die Welt, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in New York lebte, Haroche wurde in Casablanca, Marokko, als Kind eines Rechtsanwalts und einer russischen Emigrantin geboren. Die Familie Haroche zog 1956, als das französische Protektorat in Marokko auslief, nach Frankreich, wo Serge Physik studierte und ab 1967 im Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung (CNRS) seine wissenschaftliche Laufbahn begann.
Lefkowitz schloss 1966 sein Medizinstudium an der University of Columbia ab. Der Ausgangspunkt seiner Arbeiten war in den 60er-Jahren das Rätsel der körperlichen Signalstoffe: Man wusste bereits, dass im Körper Moleküle kursieren, die den Zellen Signale geben und so in ihrem Inneren wesentliche Veränderungen auslösen. Doch wie das funktionierte, war unklar. Auf der Zelloberfläche vermuteten Forscher spezielle Moleküle, die das Signal von Hormonen wie Adrenalin aufnehmen und weitergeben.
Lefkowitz näherte sich dem Problem mithilfe der Radioaktivität. Auf chemischem Wege baute er in einige dieser Moleküle radioaktives Jod ein, das auf fotografischem Film Spuren hinterlassen würde. Mit dieser speziellen Sonde identifizierte er erst einen der Rezeptoren für Adrenalin, den beta-adrenergen Rezeptor, den er anschließend chemisch isolierte und reinigte, eine Aufgabe, die sich mehr als ein Jahrzehnt hinzog.
photonen Serge Haroche, der heute den Lehrstuhl für Quantenphysik am Collège de France innehat, interessierte sich seit Mitte der 80er-Jahre dafür, wie Licht und Materie im Inneren kleiner Hohlräume, in denen die quantenmechanische Wellennatur der Materie und die Teilchennatur des Lichtes zum Vorschein kamen, miteinander wechselwirkten. An der Yale University arbeitete er mit Vorrichtungen, die Photonen für vergleichsweise lange Zeiträume gefangen halten. Ein einzelnes Photon legt zwischen Spiegeln etwa 40.000 Kilometer zurück, bevor das Material es absorbiert und dadurch zerstört.
Das entspricht einer Lebensdauer von 130 Mikrosekunden. Dieser Zeitraum reicht aus, um ein Experiment durchzuführen, das Haroche und seine Kollegen 1990 vorgeschlagen hatten: einzelne Lichtquanten messen, ohne sie zu zerstören – scheinbar unmöglich, denn wenn Licht durch eine Wechselwirkung seine Existenz anzeigt, dann wird es normalerweise absorbiert und ist unwiederbringlich verloren.
Doch es gibt eine Möglichkeit, diese Schwierigkeit zu umgehen, argumentierten Haroche und sein Team: Rubidium-Atome mit extrem stark angeregten Elektronen, sogenannte Rydberg-Atome, reagieren sehr empfindlich auf Mikrowellenfelder. Wenn die Frequenz des Mikrowellenphotons und die Resonanzfrequenz des Atoms um einen kleinen Betrag gegeneinander verschoben sind, verändert sich zwar die Frequenz des Mikrowellenfeldes, jedoch ohne dass ein Lichtquant absorbiert wird. Umgekehrt wiederum verändert diese Interaktion auch die Energielevel des Rydberg-Atoms.
2007 wurde dieser Vorschlag Realität: Forscher erzeugten dazu Rubidium-Atome in einem verschränkten Zustand, einer Überlagerung zweier Quantenzustände mit entgegengesetztem Vorzeichen, die beide in der gewünschten Weise auf das Mikrowellenfeld reagieren – nur entgegengesetzt. Dieser Überlagerungszustand rotiert wie der Zeiger einer Uhr, und Haroche und seine Kollegen brachten das System dazu, mit dieser Uhr anzuzeigen, wie viele Photonen genau in der Falle saßen – ohne die fragilen Lichtquanten zu zerstören. Haroches Experimente machten es möglich, fundamentale Gesetze der Quantenmechanik zu überprüfen, und könnten die Grundlage für superschnelle Quantencomputer sein.
medikamente Ebenfalls in den 80er-Jahren gelang es Lefkowitz endlich, genug des seltenen betaadrenergen Rezeptors bereitzustellen, um die Abfolge der Aminosäurebausteine in diesem entscheidenden Rezeptor zu finden. Mit dieser Information konnten die Forscher das Gen des Rezeptors aufspüren und im restlichen Genom nach Parallelen suchen. Dort erlebten sie etwas Verblüffendes: Man kannte etwas Derartiges schon. Aber an einem vollkommen überraschenden Ort – als verwandtes Molekül entpuppte sich das Rhodopsin des Auges, ein lichtempfindliches Molekül.
Das war für Lefkowitz und seine Kollegen erst der Anfang der Entdeckungen. Der betaadrenerge Rezeptor ist Mitglied einer enorm großen Proteinfamilie, den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Diese Moleküle sitzen in der Membran nahezu aller Zellen und nehmen Signale entgegen. Ihr Aufbau gleicht, wie die Wissenschaftler bald entdeckten, einem Bündel aus sieben Stäben, die durch die Außenhaut der Zelle hindurch ragen. Diese Stäbe verschieben sich untereinander und lösen im Inneren der Zelle, wo sie mit dem namensgebenden G-Protein verbunden sind, eine Reaktion aus: Sie reichen das Signal weiter, und das G-Protein trägt es hinein in die Zelle.
Diese Rezeptoren haben eine überragende Bedeutung für die Medizin: Nach einigen Zählungen zielen etwa die Hälfte aller zugelassenen Wirkstoffe auf diese Art von Rezeptoren: Von Beta-Blockern und Antihistaminen reicht das Spektrum der Anwendungen bis hin zu Medikamenten, die das AIDS-Virus am Andocken an seine Zielzellen hindert. Bis heute forscht Robert J. Lefkowitz an den Feinheiten dieses Rezeptortyps, mit der Hoffnung, noch spezifischere Medikamente herzustellen für die unzähligen Erkrankungen, die mit dieser Art von Detektormolekülen zusammenhängen.