Scharfe Kritik am preußischen Staat, beißender Spott über die Kirche, spitze Bemerkungen zu prominenten Zeitgenossen: Dass Heinrich Heine sich mit »Deutschland. Ein Wintermärchen« nicht nur Freunde gemacht hat, verwundert auch nach 175 Jahren nicht. Am 17. September 1844 veröffentlichte der Dichter das außergewöhnliche Reise-Gedicht, das zu seinen bekanntesten Werken zählt.
Heine, geboren 1797, hatte zeitlebens mit Ausgrenzungen zu kämpfen - insbesondere, weil er Jude war. 1825 ließ er sich evangelisch taufen, um als Jurist in den Staatsdienst treten zu können. Die Taufe bezeichnete er einmal als »eine bloße Nützlichkeitstatsache«; sich selbst betrachtete er als religiös eher indifferent.
TAUFE Diesem Schritt zum Trotz kam es weiterhin zu Anwürfen, die Heine als Kampagne empfand. Weder konnte er als Anwalt in Hamburg Fuß fassen noch als Professor in München.
Der erhoffte Effekt der Taufe blieb also aus - und Heine sollte die Entscheidung rasch bedauern. Einem Freund schrieb er ein halbes Jahr später, er habe »seitdem nichts als Unglück«. Beruflich entschied er sich, auf ein Dasein als freier Schriftsteller umzusatteln - was nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 ebenfalls kein leichtes Unterfangen war.
An Heines Versen haben sich Generationen abgearbeitet.
Als Journalist hatte Heine schon früh die sozialen und politischen Verhältnisse in Deutschland kritisiert. Um der zunehmenden Zensur zu entkommen, siedelte er 1831 nach Paris über. In den Folgejahren wurden seine Werke im Deutschen Bund verboten; im Frühjahr 1844 wurden Grenzhaftbefehle gegen ihn, den Philosophen Karl Marx und andere Mitarbeiter sozialistischer Periodika erlassen. Die französische Hauptstadt wurde endgültig zum Ort seines Exils.
EPOS Noch im Winter 1843 hatte Heine eine Reise von Paris nach Hamburg unternommen - und diese Eindrücke verarbeitete er im »Wintermärchen«. Das Versepos, eingeteilt in 27 Kapitel, steckt voller Anspielungen auf Literatur und Geschichte, Philosophie und Mythologie, gekleidet in bildhaft-poetische Sprache. Bis heute zitiert und imitiert wird es vor allem wegen der satirischen Beobachtungen.
Die Kritik des Reisenden trifft unter anderem die Kirche. Den Kölner Dom beschreibt er als »Riesenkerker«, in dem »die listigen Römlinge« am liebsten »die deutsche Vernunft verschmachten« lassen wollten. Höhnisch werden die Heiligen Drei Könige als »Hampelmänner« bezeichnet, als »Skelette des Aberglaubens«, die den Reisenden kaum beeindrucken: »Ich sehe, daß du der Vergangenheit/Gehörst in jeder Beziehung«.
Kurz darauf wird Jesus Christus selbst angesprochen. Der »arme jüdische Vetter« habe, so heißt es, weniger Glück gehabt als der Reisende, den eine liebevolle Zensur bislang vor einer Kreuzigung bewahrt habe - eine Kritik, die weniger auf den Glauben abzielt als auf die gesellschaftlichen Zustände. Und so geht es weiter: Die Wege in Deutschland versinken im Dreck, der Nationalismus droht alles zu ersticken.
HAFTBEFEHL Heines Verleger Julius Campe war ob dieser Töne alarmiert: »Sie werden viel für diese Gedichte zu leiden haben«, warnte er. In der Tat wurde das Werk kurz nach dem Erscheinen in Preußen verboten und beschlagnahmt; nach wenigen Wochen erließ König Friedrich Wilhelm IV. einen Haftbefehl gegen Heine.
Das Gedicht sorgte immer wieder für Diskussionen und Missverständnisse, aber auch für neue Inspiration.
Der Dichter blieb lange umstritten: Unter den Nazis war sein Werk verboten, in der Nachkriegszeit wurde er im Westen zunächst zögerlich rezipiert. Seine Verbindung zu Marx und »Deutschland. Ein Wintermärchen« stießen eher in der DDR auf Interesse: 1956, zu seinem 100. Todestag, erschien eine DDR-Werkausgabe, in Weimar fand der erste internationale Heine-Kongress statt.
Heine starb zwölf Jahre nach Veröffentlichung seines Epos; die letzten Lebensjahre war er bettlägerig. In seinem Testament äußerte er sich milder als zuvor zu religiösen Themen - ohne sich allerdings der Kirche oder dem Judentum wieder anzunähern.
»Ich bedaure, in meinen Schriften zuweilen von heiligen Dingen ohne die ihnen schuldige Ehrfurcht gesprochen zu haben«, schreibt Heine vor seinem Tod. Und weiter: »Ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt, dessen Erbarmen ich anflehe für meine unsterbliche Seele.«