»Matzav mischpachti« – übersetzt »Familienstand« oder »Familienangelegenheiten«– hieß eine Serie, die die israelische Tageszeitung Haaretz seit 2002 in ihrer Wochenendausgabe auf einer Doppelseite präsentierte und die danach eine Zeitlang beim Konkurrenzblatt Maariv erschien. Links ein großes Foto, rechts dazu Interviews mit den abgebildeten Männern, Frauen oder Kindern. Zum Schluss jeder Folge wurde das subjektive Glücksempfinden der Porträtierten auf einer Skala von eins bis zehn vermerkt.
Bild und Wort der Serie stammten passenderweise von einem Paar: Reli und Avner Avrahami. Sie machte die Fotos, er die Texte. »Man beginnt mit Haus und Beruf, fährt mit der Biografie fort, fragt nach der romantischen Begegnung, nach der Hochzeit, geht über zum Alltag – und dann kommt das Dessert: die Träume, die Kunst, die Auseinandersetzungen, Versöhnungen, Versäumnisse und Sehnsüchte«, beschreibt Avner seine Arbeitsmethode.
gesichter Für viele Israelis war die Lektüre von »Matzav mischpachti« ein Wochenendritual. Sie machten dort Bekanntschaft mit Familien aus allen Teilen des Landes, allen sozialen Schichten, ethnischen Gruppen und religiösen oder nichtreligiösen Richtungen: Fromme und Säkulare, Schwule und Heteros, Siedler und Araber. Der Begriff »Familie« wurde von den Avrahamis dabei unorthodox ausgelegt. Unter ihn fielen alle Formen, in denen Menschen unter einem Dach zusammenleben, auch Wohngemeinschaften und Gefängniszellen.
Zum zehnjährigen Jubiläum der Serie voriges Jahr hat das Eretz Israel Museum Tel Aviv aus rund 500 Zeitungsgeschichten 80 für eine Ausstellung ausgewählt, die seit vergangener Woche auch im Jüdischen Museum Hohenems zu sehen ist: Familienaufstellung. Israelische Porträts. Der jüdische Staat, für viele Europäer oft nur eine abstrakte Chiffre (gleich, ob positiv oder negativ besetzt), bekommt hier ein Gesicht, besser, Gesichter. Der Besucher lernt Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen kennen, ist zu Gast in ihren Wohnungen, macht sich vertraut mit ihren Gewohnheiten, sieht die Landschaften, in denen sie leben.
»anthropologische Reise« So entsteht das Gruppenbild eines Volkes, das sich nur schwer auf einen Nenner bringen lässt, es sei denn ironisch: »Israelis lassen sich in Massen zu Therapeuten ausbilden. Viele von ihnen sind hilflos bei der Platzierung von drei Gegenständen in ihrem Wohnzimmer. Kinder aus religiösen Familien sind aufmerksamer.
Viele Menschen arbeiten von ›Sonnenaufgang bis zum Zusammenbrechen‹ (oder sagen es zumindest), und fast alle schließen Frieden bei Nacht (›Im Streit geht man nicht zu Bett‹)«, fasst Avner Avrahami die Ergebnisse von zehn Jahren »anthropologischen Reisen« zusammen. Die Porträtierten scheinen jedenfalls zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Auf der Glücksskala kommen sie auf einen Schnitt von 8,25 von zehn Punkten.
Auch das private Verhältnis von Fotografin und Autor hat von der Serie profitiert, trotz gelegentlicher Herausforderungen (»Navigation zum Ziel: ein Test für unsere Beziehung«). »Die gemeinsame Arbeit hat unser Zusammenleben gefestigt«, sagt Avner Avrahami: »Wenn man keine Wahl hat und am nächsten Morgen seinen Job erledigen muss, überwindet man die Schwierigkeiten (Ego) und den Ärger (Ego).«
»Familienaufstellung«. Israelische Porträts
von Reli und Avner Avrahami. Jüdisches Museum Hohenems, bis 6. Oktober
www. jm-hohenems.at