»Ich bin die dritte Generation«, verkündet Hadas Kalderon gleich zu Beginn des Stücks They call me Jeckisch. »Meine Großeltern väterlicherseits kamen aus Frankfurt und hatten in Bergen-Belsen geheiratet.« Kalderon und ihr israelischer Landsmann Michael Hanegbi porträtieren in der Koproduktion des Theaters der Stadt Heidelberg und des Beit-Lessin-Theaters Tel Aviv deutschstämmige Israelis, Jeckes genannt. Das Stück, das an diesem Donnerstag uraufgeführt wird, basiert auf 40 Interviews mit deutschen Juden und ihren Nachfahren in Israel, die die Schauspieler Ute Baggeröhr und Frank Wiegard zusammen mit der Regisseurin Nina Gühlstorff und der Dramaturgin Nina Steinhilber vergangenes Jahr führten.
Erinnerungskerze Da ist zum Beispiel die von Kalderon und Baggeröhr gemeinsam verkörperte, heute 97-jährige Beate Abramov-Davidsohn, die von ihrem harten Leben unter osteuropäischen Juden im Kibbuz erzählt. Das geht Kalderon irgendwann auf die Nerven, diese typisch jeckischen Beschwerden über Mücken, Hitze und Sand im Gelobten Land. Sie will lieber von ihrem Großvater Abraham Sutzkever erzählen. Er ist 96, überlebte das Wilnaer Ghetto, kämpfte mit den Partisanen, dichtete auf Jiddisch über seine ermordeten Brüder und gilt als der bedeutendste jiddische Gegenwartsdichter. Baggeröhr protestiert: Sutzkever sei kein Jecke. Sie wirft Kalderon vor, die Inszenierung zu missbrauchen. Hanegbi wirft ein: »Sei nicht so holocaustisch«. Das Stück über die Jeckes wird zu einem Stück über die Schwierigkeit junger Israelis und Deutscher, gemeinsam zu spielen. Und über die Frage, ob das deutsche Publikum verstehen kann, dass Kalderon sich als »eine Erinnerungskerze« betrachtet. Hanegbi schlägt vor, alle deutsch-israelischen Begegnungen gleich welcher Art mit einer Fünf-Sekunden-Mahnpause beginnen zu lassen, »erst dann können wir uns über Eis oder Sport unterhalten«. Oder über Klamotten oder Männer, ergänzt Kalderon.
zweijahresprojekt They call me Jeckisch ist eines von sechs Stücken, die das Heidelberger und das Tel Aviver Theater gemeinsam in den kommenden zwei Jahren auf die Bühne bringen wollen. Familienbande nennt sich das Projekt. Statt der üblichen Themen Nahostkonflikt und Schoa soll gesellschaftlicher Alltag gezeigt werden, sagt Avishai Milstein, Chefdramaturg von Beit Lessin. Gerade weil Normalität ein Unwort in den deutsch-israelischen Beziehungen sei, habe man diesen Schwerpunkt gewählt. Milstein hat zusammen mit Jan Linders, dem Schauspieldirektor des Heidelberger Theaters, das Projekt entwickelt, das von der Bundeskulturstiftung initiiert wurde, die Familienbande auch mit 150.000 Euro fördert. Weitere Mittel in fast gleicher Höhe kommen vom Bildungsministerium Baden-Württemberg, der Stadt Heidelberg, dem Goethe-Institut in Tel Aviv, dem Freundeskreis des Heidelberger Theaters und der israelischen Botschaft in Berlin.
undercover Tel Aviv Ende April steht die zweite Aufführung in Heidelberg auf dem Programm, Undercover Tel Aviv von Stéphane Bittoun. Das Stück beschreibt Menschen am Rand der israelischen Gesellschaft: einen Straßenkünstler, ein philippinisches Hausmädchen und eine jüdische Mutter, die ihren Sohn nicht be schneiden lassen will. Im September kommen beide Projekte in Tel Aviv auf die Bühne, dazu Maya Scheyes The Art of Memory über eine deutsch-jüdische Familie, die durch ein Medikament gegen Alzheimer zu Wohlstand kommt, das in den Konzentrationslagern entwickelt wurde.
Das Familienbande-Projekt will mehr sein als die üblichen Austausche von Gastspielen. Die Produktionen werden auf Englisch, Deutsch und Hebräisch von Teams aus beiden Ländern erarbeitet. An jedem Projekt nehmen zwei Schauspieler aus Heidelberg und zwei aus Tel Aviv teil. Beim ersten Besuch der Heidelberger in Tel Aviv vergangenen September wurden israelische Künstler für die Gestaltung des Bühnenbilds ausgewählt. Nicht nur Regisseure und Darsteller, auch andere Mitarbeiter der beiden Theaterhäuser besuchen das jeweils andere, um Strukturen und Arbeitsmethoden kennenzulernen – und natürlich die Partnerstädte Die Israelis waren von der Schönheit des kleinen, ruhigen Heidelberg begeistert, nur die Winterkälte macht ihnen zu schaffen. Die Deutschen wiederum waren von der multikulturellen, lauten und pulsierenden Metropole Tel Aviv fasziniert, nicht zuletzt von deren Strand. »Tel Aviv ist eine gute Wahl«, sagt Jan Linders. »Wenn wir Novosibirsk als Partner gehabt hätten, wäre das wohl nicht so attraktiv gewesen.«
»They call me Jeckisch«, Theater der Stadt Heidelberg, Premiere am Donnerstag, den 21. Januar 2010, weitere Vorstellungen am 23. und 24. Januar 2010
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