Die Orgel gilt als Repräsentantin christlich-sakraler Musik. Von Bach über Telemann, Buxtehude bis zu Händel gibt es für dieses Instrument Kompositionen, die eine protestantische Weltsicht reflektieren. Wen wundert’s da, dass es kaum jüdische Orgelmusiker und kaum Stücke von jüdischen Komponisten für die »Königin der Instrumente« gibt. Die Orgel – eine Art musikalische Tabuzone für Juden. Umso erstaunlicher, dass die diesjährige Internationale Orgelwoche Nürnberg-Musica Sacra (ION) ein Auftragswerk an die israelische Komponistin Shulamit Ran vergeben hat. Die Pulitzerpreisträgerin hat in dem Stück, das am 6. Juni Premiere hat, allerdings auf die Orgel verzichtet. Zeichen für ihr schwieriges Verhältnis zu diesem Instrument? Ein zwiespältiges Verhältnis hat Ran jedenfalls zum Ort der Welturaufführung: »Für mich als Jüdin und Israelin gibt es keine Möglichkeit, an Nürnberg zu denken, ohne mit seiner dunklen Nazi-Vergangenheit konfrontiert zu werden.« Ran hat ihre Komposition »Das was geschah« betitelt, nach einer Zeile von Celan über die Schoa. Zugleich verarbeitet sie ein kurzes Gedicht über Kain und Abel, das der israelische Lyriker und Schoa-Überlebende Dan Pagis geschrieben hat. Musikalisch wird die Verschränkung der beiden Sujets Schoa und Genesis mit einem vierstimmigen Chor und einem Saxofonquartett in Szene gesetzt. Der Chor Ars Nova aus Kopenhagen unter Leitung von Paul Hillier spielt an der Seite des Rascher Saxophon Quartet. Über dessen vier Musiker hat ein Kritiker einmal geschrieben: »Wenn das Rascher-Quartett Bach spielt, nimmt die Musik eine seraphische Aura an – als ob die Orgel und das Streichquartett zusammengekommen sind.« Also doch ein jüdisches Stück für Orgel, wenn auch nur indirekt.
6. Juni 2010, 19 Uhr, Kirche St. Sebald, Sebalder Platz,
90403 Nürnberg
www.ion-musica-sacra.de