Siebzig Jahre ist es her, als zum ersten Mal die Internationalen Filmfestspiele von Cannes stattfanden, nachdem die vom französischen Kulturminister Jean Zay – der als Jude später von den Nazis ermordet wurde – konzipierte Veranstaltung aufgrund des Kriegsbeginns nicht wie geplant 1939 Premiere feiern konnte.
Der Hauptpreis des Festivals, die begehrte Goldene Palme, ging in all den Jahren seither noch nie an einen Film aus Israel – und daran wird sich auch 2017 nichts ändern. Im Wettbewerb ist kein israelischer Beitrag vertreten.
Doch das Festival, das am Mittwoch mit Les Fantômes d’Ismaël des französischen Regisseurs Arnaud Desplechin eröffnet wird und bis zum 28. Mai dauert, ist groß, und natürlich lassen sich bei genauem Hinsehen im umfangreichen Programm dann doch noch jede Menge israelische Filmemacher entdecken.
siedler Am prominentesten wird dabei einmal mehr Amos Gitai in Erscheinung treten. In der Nebenreihe Quinzaine des Réalisateurs feiert sein neuer Film West of the Jordan River Premiere. Für die Dokumentation kehrte Gitai erstmals seit 1982 ins Westjordanland zurück, wo er einen sehr menschlichen Blick auf die Bemühungen der palästinensischen Bewohner und jüdischen Siedler wirft, im Spannungsfeld zwischen Politik und Militär, Menschenrechtler und Journalisten ihr Leben zu leben.
In der Reihe Cinéfondation, die sich Werken von Filmhochschülern widmet, wird der Film Heritage des jungen Regisseurs Yuval Aharoni von der Steve Tisch School of Film & Television an der Universität Tel Aviv gezeigt. Dass diese Sektion ein gutes Pflaster ist für israelische Filme, zeigte sich im vergangenen Jahr: Da wurde der Film Anna von Or Sinai als bester Film ausgezeichnet.
Auch in der Reihe Cannes Classics, die in diesem Jahr aufgrund des Jubiläums besonders üppig ausfällt, ist ein Film aus Israel vertreten: Das israelische Filmarchiv der Jerusalem Cinematheque präsentiert eine aufwendig restaurierte und in Digitalbilder übertragene Fassung des Klassikers Matzor von Gilberto Tofano mit Gila Almagor in der Hauptrolle, der 1969 in Cannes im Wettbewerb lief.
Dass sich die israelische Filmindustrie seit geraumer Zeit intensiv um verstärkte Präsenz beim wichtigsten Filmfestival der Welt bemüht, ist auch daran zu erkennen, dass man in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge mit einem eigenen Pavillon auf dem Filmmarkt vertreten ist.
Familiendrama Mit großer Spannung wird der neue Film des Amerikaners Noah Baumbach erwartet. The Meyerowitz Stories hieß ursprünglich Yeh Din Ka Kissa und wird in der zweiten Jahreshälfte weltweit ausschließlich auf Netflix zu sehen sein. Die Hauptrollen in dem jüdischen Familiendrama über einen alternden Vater und seine Kinder haben Dustin Hoffman, Adam Sandler und Ben Stiller übernommen.
Baumbach ist allerdings nicht der einzige jüdisch-amerikanische Regisseur im Rennen um die Goldene Palme: Mit dem Bankraub-Thriller Good Time gehen auch die beiden bislang nur eingeschworenen Cineasten bekannten Brüder Ben und Josh Safdie ins Rennen, die ihren Hauptdarsteller Robert Pattinson mit nach Cannes bringen werden.
Auch das französische Kino kann auf eine lange Tradition jüdischer Filmemacher zurückblicken, was sich in diesem Cannes-Jahrgang besonders bemerkbar machen wird. Michel Hazanavicius etwa, Enkel von aus Litauen stammenden Juden und seit The Artist (2011) stolzer Oscar-Gewinner, wurde mit seinem neuen Film Le Redoutable in den Wettbewerb eingeladen.
68er-Bewegung Er erzählt darin von niemand Geringerem als seinem berühmten Regie-Kollegen Jean-Luc Godard und der 68er-Bewegung in Paris. Außer Konkurrenz kehrt auch Roman Polanski an die Croisette zurück: mit seiner Frau Emmanuelle Seigner, Eva Green und dem verstörenden wie genialen Thriller Based on a True Story, der schon vorab für viel Gesprächsstoff in Cannes sorgt.
In der wichtigen Nebenreihe »Un Certain Regard« präsentiert Mathieu Amalric (Schmetterling und Taucherglocke), der auch im Eröffnungsfilm zu sehen und damit neben Jake Gyllenhaal, Joaquin Phoenix und Alicia Silverstone einer von vielen jüdischen Schauspielern im Wettbewerb ist, seine neue Regiearbeit Barbara. Mit mindestens ebenso viel Spannung wird der Dokumentarfilm Napalm von Claude Lanzmann erwartet. Der Film über Nordkorea ist einer von vielen, die dem Festival in diesem Jahr einen politischen Anstrich verpassen werden.
Zu den übrigen gehören neben An Inconvenient Sequel, in dem sich Ex-US-Vizepräsident Al Gore wieder dem Klimawandel widmet, oder Vanessa Redgraves Regiedebüt Sea Sorrow über Flüchtlinge in Europa auch die Dokumentation Promised Land des amerikanisch-jüdischen Regisseurs Eugene Jarecki über das aktuelle amerikanische gesellschaftspolitische Klima – aus dem Blickwinkel der Biografie von Elvis Presley.
Jury Welche der Filme im Wettbewerb – zu denen auch Fatih Akins Aus dem Nichts, Happy End von Michael Haneke oder neue Werke von Todd Haynes, François Ozon und Sofia Coppola gehören – tatsächlich preisverdächtig sind, darüber entscheidet am Ende die Jury, deren Leitung in diesem Jahr Pedro Almodóvar übernommen hat.
Unterstützung bekommt er dabei nicht nur von Maren Ade (Toni Erdmann), Jessica Chastain oder Will Smith, sondern von einer weiteren wichtigen jüdischen Stimme des französischen Kinos: Auch die Filmemacherin Agnès Jaoui, deren Familie einst aus Tunesien nach Frankreich einwanderte, diskutiert mit über die Vergabe der Goldenen Palme.