Bis zur Entschuldigung dauerte es fünf Tage. Aber nur Erbsenzähler werden Markus Lanz und Richard David Precht das zum Vorwurf machen. In der am Mittwoch veröffentlichten Folge 111 des ZDF-Podcasts Lanz & Precht widmen der TV-Moderator und der Philosoph sich wieder einmal voll und ganz … sich selbst. Genauer, sie arbeiten die vorangegangene Folge ihres Podcasts (»über Israel und den Gazastreifen«) auf. Die sorgte nämlich wegen gewagter Aussagen für mächtig Wirbel.
Precht behauptete, dass orthodoxe Juden nicht arbeiten dürften, und wenn, dann nur in bestimmten Bereichen wie der Finanzbranche oder dem Diamantenhandel.
»Das war falsch«, sagt er nun gleich mehrmals. »Salopp dahergeredet« sei das gewesen, der Sachverhalt sei in Wahrheit natürlich »deutlich komplizierter«. Er wolle sich deshalb »bei allen entschuldigen, die darin etwas Antisemitisches gesehen haben, denn Antisemitismus ist mir so fern, also wie kaum irgendetwas anderes.« Und beteuert gleich anschließend, er habe sich »durchaus mit dem orthodoxen Judentum beschäftigt.« Nämlich – und das schon im zarten Alter von zwölf oder dreizehn Jahren – mit den Detektivromanen von Harry Kemelman.
In einem von ihnen (Redaktioneller Hinweis für interessierte Leser: Es handelt sich um Band 4, »Am Montag flog der Rabbi ab«) fliegt der Protagonist, der amerikanische Rabbiner David Small, nach Israel und wird dort in Terroranschläge und ein paar andere Sachen verwickelt.
Auch um die Orthodoxen gehe es in dem Krimibuch, erzählt Precht. »Ich fand das immer wahnsinnig faszinierend.« Aber natürlich sei das noch nicht alles gewesen. Er habe ursprünglich nicht über Musil, sondern über den Soziologen, Journalisten und Filmkritiker Siegfried Kracauer promovieren wollen, erläutert Precht, und fährt fort: »Und da kommt Isidor Kracauer, der Onkel, vor, und der hat eine zweibändige Geschichte der Juden in Frankfurt geschrieben, und die habe ich auch komplett gelesen. Das heißt also, mich hat dieses Thema sehr interessiert.«
In Isidor Kracauers Buch habe er viel gelernt über die Juden. So zum Beispiel, »dass sie ausgeschlossen waren aus den Zünften, aus den Gilden im Mittelalter, dass sie aus den Handwerksberufen rausgedrängt oder gar nicht zugelassen worden sind, und dass sie dann ausgewichen sind in mehrere Tätigkeiten, unter anderem in die Finanzgeschäfte.«
Und das ist längst nicht alles. Er, Precht, habe gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die Satmarer Gemeinde in Williamsburg, einem Stadtteil von New York, besucht. Auslöser sei gewesen, dass seine Partnerin das Buch von Deborah Feldman (Unorthodox) gelesen habe, in dem Feldman über ihre Kindheit und Jugend in einer Satmar-Community in New York schreibt und ihren Ausstieg daraus.
Und noch eine Begründung für seine Aussage führt Richard David Precht ins Feld: »Wir waren im letzten Herbst im Dezember in Antwerpen über meinen Geburtstag hinweg und haben uns dort den Diamantenhandel angeguckt.«
GEBOT Er habe sich halt damit beschäftigt, wovon die Satmarer Gemeinde lebe und wie deren Regeln seien. »Deswegen habe ich das so lapidar eingeworfen. Was falsch daran ist, ist natürlich, das war mir im Grunde genommen auch klar, dass es natürlich kein religiöses Gebot gibt, nicht arbeiten zu dürfen, sondern dass das quasi freiwillig geschieht.« Es könne natürlich gar kein religiöses Gebot geben, das den Diamantenhandel erlaube, das sei »Quatsch«, so Precht, denn: »Zu den Tora-Zeiten gab es gar keinen Diamantenhandel.«
Er habe das deshalb so lax eingeworfen, weil er noch unter den Eindrücken aus Antwerpen und Williamsburg gestanden habe, »weil ich das noch im Kopf hatte und mir irgendwie klar war, sehr viele Männer, die Ultraorthodoxe sind, arbeiten nicht, aber bei diesen Tätigkeiten, da gibt es den einen oder anderen, der dem nachgeht.« Die Verkürzung sei aber »falsch und schief dargestellt« gewesen.
Lanz nimmt seinen Freund und Gesprächspartner gleich mehrmals gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz, den allerdings auch kaum jemand der Precht-Kritiker erhoben hatte. Über die Heftigkeit der Debatte sei er sehr überrascht gewesen.
»Es hat mich getroffen, dass du in Windeseile - und ich nebenbei gleich mit - zum Antisemiten umetikettiert worden bist, weil ich aus persönlichen Gesprächen weiß, dass du alles bist, aber sicher kein Antisemit.«
Die Schoa sei ja nicht nur Precht, sondern auch ihm selbst »immer ein Herzensanliegen gewesen«, so der ZDF-Talkmaster. Und beginnt nun seinerseits, sich zu rechtfertigen.
Er habe immer wieder versucht, »auch wenn es teilweise wahnsinnig schwierig war«, die letzten Überlebenden der Schoa in sein TV-Studio zu holen, sagt Lanz. Er habe eine Reportage gemacht mit dem Titel Du sollst leben. Das sei der Dreh gewesen, der ihn habe verstehen lassen, »worum es da eigentlich wirklich geht und wie tief das alles geht, auch über Generationen hinweg. Und deswegen hat mich das wirklich verletzt.«
Gegenüber Precht zeigt sich Lanz auch zerknirscht: »Ich bin dir ins Wort gefallen« im Podcast vergangene Woche. Der hatte vor allem wegen Prechts Aussagen Kritik und Spott nach sich gezogen. Lanz hatte jedoch seinem Partner mehrfach durch Zwischenrufe (»genau«, »richtig«) beigepflichtet – auch dann noch, als Precht schon auf abschüssigem Gelände war.
Einig sind sich die beiden Podcaster, dass das alles ein »hochgradig vermintes Terrain« sei. Und die von ihm verwendeten Bilder auch seit langer Zeit von Antisemiten verwendet werden. Bei »all den Menschen, deren religiöse Gefühle ich damit verletzt habe oder die sich verzerrt dargestellt gesehen haben oder die das an antisemitische Klischees erinnert hat, entschuldige ich mich ganz und gar«, betont Precht. Nichts liege ferner, als »irgendetwas in diese Richtung« von sich zu geben, zumal es sich nun wirklich nicht in seinem Kopf befinde.
SOZIALHILFE Doch damit ist der Podcast noch längst nicht beendet. Das Zwiegespräch zu Judentum und Vorurteilen geht nämlich munter weiter. Lanz versucht umständlich zu erläutern, warum viele fromme Juden in Israel nicht arbeiten, sondern sich lieber dem Studium der Tora widmen – und führt als Expertin Deborah Feldman ins Feld, der er nicht nur eine hohe Intelligenz attestiert, was man daran erkennen könne, dass sie perfekt Deutsch gelernt habe, sondern die auch eine intime Kenntnis der Verhältnisse in der Gemeinschaft der ultraorthodoxen Juden in Israel besitze.
Lanz, sich auf Feldman stützend, erläutert, dass durch die Sozialhilfe in Israel der minimale Lebensunterhalt gesichert sei und sich »Teile der ultraorthodoxen Welt für das religiöse Studium entscheiden, weil sie eben nicht mehr argumentieren können, dass die Arbeit überlebensnotwendig wäre.«
Er fügt an: »Frauen übrigens sind davon ausgenommen. Die können in den meisten Fällen in bestimmten und in als sicher geltenden Bereichen arbeiten, wenn es die Familienversorgung zulässt.« Heute arbeiteten Orthodoxe sowie Teile der Ultraorthodoxen jedoch in allen möglichen Berufsfeldern, zitiert Lanz Feldman.
Precht erwidert daraufhin: »Das ist eine absolut tief gehende, gründliche Analyse für das, was ich in einem Satz schief und missverständlich dargestellt habe.«
Doch auch an diesem Punkt war das Zwiegespräch noch nicht zu Ende. Lanz musste auch noch auf seine Talksendung mit Gregor Gysi zurückkommen vor einigen Wochen, in der Letzterer das N-Wort benutzte, ohne es zu merken. Er habe dennoch keinen »Riesenskandal« produzieren wollen, so Lanz weiter. »Ich wusste, da sitzt Gregor Gysi, den ich ein bisschen kenne, den ich auch privat ab und zu mal ein kleines bisschen erlebt habe und von dem ich weiß, dass er niemals in seinem Leben durch rassistische oder antisemitische oder irgendwelche anderen Äußerungen und Vorurteile unangenehm aufgefallen ist.«
Auch da pflichtet ihm Precht bei: »Das ist mit Sicherheit kein Mensch, der so was denkt. Im Gegenteil, das meine ich absolut, steht er für die genau gegenteilige Position.« Durch seine kluge Gesprächsführung sei dann das Ganze kontextualisiert worden und der Shitstorm im Anschluss an die Sendung ausgeblieben, so Lanz. Nur ein »laues Lüftchen« sei das gewesen.
Ganz anders als bei Richard David Precht, denn der kam nicht so glimpflich davon. »Wir haben halt das große Problem in unserer Medienlandschaft, Dinge zu dekontextualisieren«, sagt Precht. Das geschehe, um Menschen anzuprangern, etwas völlig aus dem Zusammenhang zu reißen, um eine Gesinnung daran festzumachen, etc. Das sei »eine Unsitte«. Und betreffe nicht nur ihn, sondern »ganz viele Menschen«.
Dabei komme doch dieser Tage »der vierte Band meiner Philosophiegeschichte raus. Mehr als die Hälfte der dort ausgesprochen liebevoll vorgestellten, analysierten, betrachteten Philosophen und Denker - Sigmund Freud, Henri Bergson, Edmund Husserl, Siegfried Kracauer, Ernst Bloch, Georg Lukacs, Walter Benjamin - sind jüdisch. Ich meine, welcher Antisemit würde so was tun?«
Kaum hat er Sigmund Freud erwähnt, unterläuft Precht auch schon ein Freud’scher Versprecher: »Wenn jemand von der jüdischen Botschaft denkt, ›Oh, kuck mal hier, da taucht diese Schablone auf, die ist antisemitisch, die darf nicht in der Öffentlichkeit stehen bleiben‹, dann hat das seine volle Berechtigung.«
Ob die israelische Botschaft in Berlin gemeint ist, die Precht am Samstag auf X (Twitter) kritisierte, bleibt unklar.
Lanz nimmt den Ball gerne auf und schießt ihn aufs Tor. Viel zu schnell werde heutzutage der Stab über andere gebrochen und Gräben aufgerissen. »Und wenn man Gräben sagt, muss ich jetzt noch Deborah Feldman zitieren, die sagt: ›Wir reden bei Israel immer über Feinde von außen. Aber im Prinzip geht es eigentlich auch um Feindschaft von innen. Die Feindschaft von innen hat diese Situation herbeigeführt und auch die Situation, das sagt sie, so schlimm eskalieren lassen.‹«
DIE ANDERE SEITE Lanz spannt einen ganz großen Bogen. Es gebe auch junge Palästinenser, die ihm bestätigt hätten, was auch Feldman ihm gesagt habe. »Das sind ganz oft Menschen, die mit Religion an sich wenig zu tun haben. Also das heißt, dieses Bild der komplett radikalisierten palästinensischen Welt, das ist so auch in keinster Weise zutreffend. Diese jungen Leute sind ganz häufig mit ihren politischen Vertretungen wahnsinnig unzufrieden. Aber sie haben ganz selten die Chance, irgendetwas zu verändern, weil auch diese Gewalt ja den Erfolg dieser terroristischen Organisationen befeuert. Und wenn man sich das Regime der Hamas in Gaza anguckt, ich meine, es gab nach dem einen Wahlsieg - danach wurde auch nie wieder gewählt - dann auch Aufstände, und da hat man zur Abschreckung einfach Leute von Hochhäusern geworfen, um klarzumachen, wer hier das Sagen hat. Das ist auch der Grund, warum man, wenn man in die palästinensischen Gebiete reist - und ich war da wirklich öfter in den letzten Jahren, immer so eine Traurigkeit, eine Melancholie hat. Das Gefühl, das ist ein gedemütigtes Volk.«
Auch mit deutschen Muslimen habe er dieser Tage gesprochen, fügt Markus Lanz hinzu. Und Precht betont: »Wir leben in einem Jahrhundert, wo in einer unglaublichen Informationsfülle, die menschheitsgeschichtlich völlig neu ist, jeder sich am Ende seine Erzählung raussucht, die zu ihm passt und jeder am Ende das glaubt, was er glauben will.« So dürfte es auch vielen Hörern des Podcasts gegangen sein.
Doch eines stimmt auch: Wo Lanz Precht hat, hat er recht. In diesen Zeiten braucht es Einigkeit. Die haben die beiden jetzt erneut demonstriert.