Als Ernst Toller, der jüdische Schriftsteller und Revolutionär, vor 90 Jahren seine Autobiografie Eine Jugend in Deutschland veröffentlichte, war ihm ein großer Teil seines Lesepublikums bereits abhandengekommen.
Das Buch konnte 1933 nicht mehr in Deutschland erscheinen, wurde jedoch dank des deutschsprachigen Exilverlags Querido (Amsterdam) ein internationaler Erfolg. Nun bringt der Historiker Ernst Piper dieses Porträt einer Jugend erneut auf den Markt, angereichert mit historischen Abbildungen, Faksimiles, Dokumenten und einem Essay, der das Buch zwischen damals und heute historisch verortet.
Die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland unterscheiden sich aktuell zweifelsohne von denen im Jahr 1933, und doch kann dem Werk eine gewisse Aktualität nicht abgesprochen werden. Eine, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach gewandelt hat.
Dem Werk kann eine gewisse Aktualität nicht abgesprochen werden.
Angesichts der Bücherverbrennung 1933 hatte der Autor erklärt, dass Eine Jugend in Deutschland keineswegs nur seine individuelle Jugend schildert, vom jüdischen Knaben, geboren in Samotschin in der einstigen preußischen Provinz Posen, über den nationalistisch verführten Kriegsfreiwilligen bis zum Pazifisten und Revolutionär der Münchner Räterepublik, was ihm eine jahrelange Festungshaft einbrachte.
Vielmehr sei es ein Buch über »die Jugend einer Generation und ein Stück Zeitgeschichte dazu«. Damit ist etwas über die Zielgruppe gesagt, die Toller ursprünglich im Auge hatte. Eine Renaissance erlebte das Buch in der Zeit der 1968er-Revolte, als die vorwiegend studentische Jugend sich des Revolutionärs und Antifaschisten erinnerte.
In dieser Zeit war auch der Geschichtsstudent Ernst Piper mit Tollers Lebenswerk in Verbindung gekommen. Nun, als promovierter Historiker, hat er in der Reihe »Die Andere Bibliothek« jene kommentierte Ausgabe herausgebracht. Bei Piper, der vor einigen Jahren eine Rosa-Luxemburg-Biografie vorlegte, ist dabei eine gewisse Sympathie für die linkssozialistischen Positionen Tollers nicht zu übersehen. Das war bereits im Jahr 1996 so, als er Toller in der Zeitschrift »Exil« einen Aufsatz unter dem Titel »Ich will es mit Liebe umpflügen« gewidmet hatte.
Toller-Renaissance auf westdeutschen Bühnen
Schon im Jahrzehnt zuvor hatten die westdeutschen Theaterdramaturgen Tollers Stücke auf die Spielpläne gesetzt. Politische Dramen, die er größtenteils in der Haft verfasst hatte, wurden Jahrzehnte nach den erfolgreichen Uraufführungen gezeigt. In Nürnberg hatte 1981 Raymund Richter, der einstige Assistent von Peter Zadek, Hinkemann inszeniert.
Im Mittelpunkt des Antikriegsdramas steht ein ehemaliger Frontsoldat, dessen Manneskraft durch eine Gewehrkugel zerstört worden ist. Das nationalistische deutsche Theaterpublikum war darüber im April 1924 noch entrüstet, die Berliner Uraufführungsinszenierung mit Heinrich George konnte nur unter Polizeischutz stattfinden. Nun löste es eine regelrechte Toller-Renaissance auf den westdeutschen Bühnen aus.
Ernst Piper hat in seinem Essay eine bislang wenig beachtete Seite Tollers aufgezeigt, die des jüdischen Autors. So erfährt man, dass er unmittelbar nach der Haftentlassung nach Palästina gereist war, viel Zeit in Kibbuzim verbrachte und bei Veranstaltungen der sozialistisch-zionistischen Bewegung Poale Zion auftrat.
Zu Beginn der NS-Herrschaft hielt sich Ernst Toller glücklicherweise in der Schweiz auf. Er reiste fortan durch die Welt, hielt Vorträge, organisierte Hilfsaktionen für das republikanische Spanien und für Arbeitslose in Palästina. In einem Zimmer des New Yorker »Mayflower Hotel« setzte er seinem Leben am 22. Mai 1939 selbst ein Ende.
Eine heutige Leserschaft sollte sich angesichts des wieder zunehmenden Antisemitismus und nationalistischem Populismus animiert fühlen, Eine Jugend in Deutschland wieder zur Hand zu nehmen.
Ernst Toller: »Eine Jugend in Deutschland«. Die Andere Bibliothek, Aufbau, Berlin 2024, 348 S., 26 €