Sommeruni

Politik der Minderheiten

Schmelztiegel der Religionen: der Tagungsort Sarajevo Foto: imago

Die jährlich stattfindende Summer School des Instituts für Islamische Theologie (ITT) der Universität Osnabrück hatte in diesem Jahr einen besonders geschichtsträchtigen Tagungsort gewählt. In Sarajevo (Bosnien und Herzegowina) widmeten sich im Juli etwa 50 Wissenschaftler sowie Studierende der Islamischen Theologie, der Jüdischen Studien und der Islamwissenschaft dem Thema »Recht, Religion und Minderheit«. Kooperationspartner der sechstägigen Veranstaltung waren die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) und die Fakultät für Islamische Wissenschaften der Universität Sarajevo (FIN).

Die Zusammenarbeit der akademischen Institutionen zielte auf einen interdisziplinären Zugang zur Frage des Minderheitenrechts muslimischer und jüdischer Gemeinschaften aus historischer Perspektive und in der Gegenwart im christlich geprägten Europa.

Ausgangspunkt der Summer School war die Zentralität der rechtlichen Aspekte in der Lebenswelt von Muslimen und Juden außerhalb der arabischen Welt beziehungsweise Israels sowie die breite öffentliche Debatte in Deutschland und Europa. Schon bei der Einführungsveranstaltung wurde die Vergleichbarkeit religionsrechtlicher Aspekte im Islam und Judentum hervorgehoben, da sich beide Religionen auf ein normatives Rechtssystem stützen.

Wenngleich das Judentum auf eine im Vergleich zum Islam ungleich längere Diaspora-Erfahrung zurückblickt, lassen sich im Bezug auf religiöse Lebenspraxis beider Religionsgemeinschaften in christlich oder säkular geprägten Staaten viele Gemeinsamkeiten beobachten. Dies wird besonders in den aktuellen Debatten über die Beschneidung von Jungen oder das Schächten deutlich.

Scharia Dem Thema des Minderheitenrechts näherte man sich aus muslimischer und jüdischer Perspektive durch eine Diskussion historischer Konzeptionen. Dabei standen Fragen zum Verhältnis von Staat und Religion sowie religiösem und staatlichem Recht im Judentum beziehungsweise der Diskurs um das Minderheitenrecht (figh al-aqalliyat) sowie die Stellung des Ausnahmerechts im Islam im Vordergrund.

Ronen Reichman (HfJS) verwies auf die Vielfalt politischer Modelle in der jüdisch-rabbinischen Tradition. Er schlug vor, die Frage des Verhältnisses zwischen politischer Macht und Religion im Judentum methodologisch anhand der Hauptrechtsquellen Tradition (Offenbarungswissen), des gelehrten Rechts (Argumentation und Interpretation) und des positiven Rechts (rabbinische Rechtsetzung) herauszuarbeiten, wobei jede dieser Grundlagen ein politisches Modell in sich trage.

Aus islamwissenschaftlicher Perspektive arbeitete Benjamin Jokisch (FU Berlin) in einer Untersuchung über Städte mit muslimischer Minderheit außerhalb des islamischen Machtbereichs verschiedene Konzepte der Anwendung des religiösen Rechts in der Vormoderne heraus. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit dem Minderheitenrecht im Islam aus historischer Perspektive im mittelalterlichen Spanien und Sizilien.

Schächten Gegenwärtige Debatten des Minderheitenrechts wie die Anwendung des islamischen Rechts (Scharia) oder die Frage des Schächtens im säkularen Staat kamen ebenfalls zur Sprache. Stefanie Budmiger (Heidelberg) analysierte rabbinische Texte, in denen von einer Hinwendung an nichtjüdische Gerichte in der hellenistisch-römischen Epoche der Spätantike in Eretz Israel beziehungsweise in sassanidischer Zeit in Babylonien berichtet wird. Budmiger wandte sich dabei Fragen des rabbinischen Rechtspluralismus und der Legitimation außerrabbinischer Rechtsentscheidungen zu.

Aus der Perspektive des Islams erläuterte Elhakam Sukhni (Osnabrück) aktuelle muslimische Positionen des Minderheitenrechts am Beispiel des besonders in der islamischen Welt kontrovers diskutierten Konzepts von Yusuf al-Qaradawi. Mahada Wayah (Frankfurt am Main) bot dagegen einen Überblick über die aktuelle Situation der staatlichen Anerkennung des Islams in Deutschland und ging dabei auf rechtliche Grundlagen, politische Prozesse sowie die Entwicklungen in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland ein. Andere Vorträge nahmen sich der Gebetspraxis an Schulen oder dem Schächten an.

symbolträchtig Durch die Heterogenität des Programms konnte eine Reihe paralleler Phänomene in Judentum und Islam wie auch wichtiger Unterschiede herausgearbeitet werden, so etwa Ähnlichkeiten zwischen islamischem Minderheitenrecht und rabbinischen Positionierungen oder die Möglichkeit der Rechtsetzung im Judentum und das Fehlen einer solchen im islamischen Recht.

Mit Sarajevo war ein symbolträchtiger Ort gewählt worden, in dem sich trotz oder gerade aufgrund der kriegerischen Erschütterung in den 90er-Jahren ein bis in die Gegenwart spürbares, lebendiges und beeindruckendes Selbstverständnis islamischer, jüdischer und christlicher Lebenswelt erhalten hat. Die jüdische Geschichte in Sarajevo geht bis in das 16. Jahrhundert zurück, die erste Synagoge wurde um 1581 erbaut.

Dieses interreligiöse Erbe wie auch die jüngere komplexe Geschichte des Balkans wurden im Begleitprogramm erlebbar. Neben dem Besuch des Srebrenica Genozide Memorial in Potocari und der jüdischen Gemeinde in Sarajevo empfing Großmufti Reis ul-Ulema Husein Kavazovic die Teilnehmer der Summer School. Jakob Finci, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Sarajevo, sprach mit den Teilnehmern über die bewegte Geschichte der Gemeinde vor und während des Bosnienkrieges.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Talmud, Codices und rabbinische Literatur an der HfJS.

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