Wenn Barbara Honigmann über sich und ihr Leben spricht, dann merkt man, dass sie gern erzählt – und dass sie Routine darin hat. Die Stimme der Autorin ist durchdringend, wirkt mal fast angriffslustig laut, mal suchend, wenn die beste Formulierung noch nicht gefunden ist. Die Freude am Erzählen, sagt Honigmann, habe sie wohl von ihrem Vater.
Am Dienstag feiert die Schriftstellerin ihren 70. Geburtstag – und statt ihre eigenen Memoiren zu schreiben, hat sie gerade ein Buch über diesen für sie so prägenden Vater veröffentlicht: Georg. »Er hatte einen Witz, er hatte einen Charme und er hatte eine Art zu schreiben, die sich in mich eingeschrieben hat«, sagt sie in ihrer Straßburger Wohnung, in einem mit Büchern vollgepackten Zimmer, das sie – vielleicht ein wenig spöttisch – den »Salon« nennt.
exil Honigmann ist die Tochter jüdischer Eltern, die beide die Nazi-Zeit im Exil in London überlebten. Überzeugt von den Ideen des Kommunismus zogen sie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland – in den Ost-Teil Berlins, wo Barbara geboren wurde.
Sie erinnert sich an eine Kindheit voller Erzählungen ihres Vaters, von dessen Internierung in Kanada oder von dem entscheidenden Moment, als er bei seinen Englischkenntnissen schummelte und so eine Stelle als London-Korrespondent ergatterte. »Das war so ein Leben in Episoden, und die Episoden wollte er mit seiner Tochter teilen«, erzählt sie, die Beine über die Armlehne des Sessels gelegt. Auch Briefe habe er ihr sein Leben lang geschrieben. Von ihm habe sie »so ein Bewusstsein, wie schön Sprache sein kann und wie nah und wie berührend und wie witzig«.
Sie begann in der religionsfeindlichen DDR, ihre jüdischen Wurzeln zu erforschen.
Heute lebt Barbara Honigmann selbst in einer Art Exil im Elsass, auch wenn sie es vermutlich selbst nicht so nennen würde. Sie begann in der religionsfeindlichen DDR, ihre jüdischen Wurzeln zu erforschen. Schließlich zog sie 1984 gemeinsam mit Mann und beiden Söhnen nach Straßburg, wo es noch heute ein reges jüdisches Leben gibt. In ihrem Buch Roman von einem Kinde beschreibt sie diesen Schritt als »dreifachen Todessprung ohne Netz: vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich, und aus der Assimilation mitten in das Thora-Judentum hinein«.
hebräisch Sie lernte Hebräisch lesen und stürzte sich in das Studium des Judentums. Ihren Umzug ins Elsass erklärt sie im Rückblick so: »Das war ein neuer Aufbruch in einen Teil meiner selbst, der mich immer interessiert hat und von dem ich zu wenig wusste, auf den ich neugierig war.« Neugier auf die Geschichte ihrer Familie und damit auch die eigene – das ist auch ein Quell für Honigmanns Schreiben. Ihr Buch Ein Kapitel aus meinem Leben handelt von ihrer Mutter. Eine Liebe aus nichts widmet sich bereits 1991 ihrem Vater.
Für ihre Bücher wurde sie mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter der Jakob-Wassermann-Literaturpreis, der Kleist-Preis und der Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. 2008 wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen – mit der Begründung, ihr Schreiben sei stets autobiografisch geprägt, ihre fortgesetzte Familienrecherche sei eine Rekonstruktion ihrer jüdischen Wurzeln.
Über die Nähe ihres Werks zur Realität sagt Honigmann selbst: »Da ist nicht viel erfunden.«
Über die Nähe ihres Werks zur Realität sagt Honigmann selbst: »Da ist nicht viel erfunden.« Eher lasse sie Details oder Episoden weg. »Ich sehe meine Arbeit als poetische Verdichtung. Ich will nicht Zeugnis ablegen über dieses Leben. Ich will so eine Art Porträt erschreiben.«
erinnerung Was als Nächstes kommt? Ein paar Ideen habe sie, aber genau wisse sie es noch nicht. Sie sei wie ein Feld, das alle paar Jahre auch mal brachliegen müsse. Und dann sei da ja noch ihr Geburtstag, den sie mit ihrer Familie und den Enkeln bei einer Pizza feiern will und dem sie etwas argwöhnisch entgegenblickt. »Gestern war man noch Student und heute ist man 70. Das ist ein komisches Gefühl«, sagt sie. Jung fühle sie sich nicht mehr – auch wenn die Erinnerung an die Zeit, als sie neu in Straßburg war, noch frisch erscheine. »Aber man kann sie einfach überhaupt nicht fühlen, die Zeit.«
Als Heimat sieht sie Straßburg auch nach 35 Jahren nicht. »Ich weiß nicht, was Heimat ist. Ich hab es nie gewusst und muss es auch nicht wissen«, erzählt sie. »Ich habe nur eine Sprache, die deutsche Sprache. Das ist vielleicht so etwas wie Heimat.«
Wenn sie das sagt, erinnert sie ein bisschen an den Vater, so wie sie ihn in ihrem neuen Buch beschreibt: als Mensch, der sich aus Wohnungen und Städten nicht viel macht, der die Sprache liebt und der stolz auf sein leichtes Gepäck ist. Vielleicht hat Barbara Honigmann nicht nur das Erzähler-Gen von ihm geerbt.