Bei den Voraussetzungen, die die vierteilige Netflix-Miniserie Alles Licht, das wir nicht sehen mit sich bringt, sind die Erwartungen hoch. Zum Mitschreiben: Der jüdische Regisseur Shawn Levy, der schon beim Erfolg Strangers Things an Bord war, verfilmt den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten gleichnamigen Roman von Anthony Doerr, und das nach einem Drehbuch von Peaky Blinders-Ideengeber Steven Knight und mit Stars wie Mark Ruffalo, Lars Eidinger und Hugh Laurie alias Dr. House.
Leider kann Alles Licht, das wir nicht sehen nicht nur den hohen Erwartungen nicht gerecht werden, schlimmer noch: Die Serie ist auf vielen Ebenen eine riesige Enttäuschung.
COMPUTERGENERIERT Man kann darüber hinwegsehen, dass die ersten Serien-Szenen, in denen Bomber das Küstenstädtchen Saint-Malo angreifen, schon stark computergeneriert aussehen; auch darüber, dass alle Figuren der Serie, egal ob Franzose, Brite oder Deutscher, im Original Englisch sprechen und es dadurch zu der Absurdität kommt, dass deutsche Schauspieler mit Akzent Nazis spielen. Wesentlich schwerer wiegt dagegen, dass Levy und Knight aus der Vorlage ein pathetisches unterkomplexes Melodram machen.
Die Serie setzt ein im Jahr 1944 in Saint-Malo. Das Städtchen liegt in Trümmern, und auch das Haus, in dem die blinde Marie-Laure (Aria Mia Loberti) lebt, ist lädiert. Während sie ihre Lesung von Jules Vernes Klassiker 20.000 Meilen unter dem Meer auf der illegalen Radiokurzwelle 13.10 überträgt – geheime Nachrichten für die Résistance, wie wir später erfahren –, wird sie von der Druckwelle einer Bombe aus dem Stuhl gefegt. Gespielt wird Marie-Laure von der tatsächlich blinden Loberti, die für ihre erste Rolle als eine von Tausenden Bewerberinnen gecastet wurde.
Ebenfalls in dem Ort befindet sich Werner (Louis Hofmann), ein junger Soldat und ein Genie für Radiotechnik, wie ihm mehrfach attestiert wird. Werner soll für die Wehrmacht illegale Radiosender aufspüren, doch er ist alles andere als fahnentreu und insgeheim ein großer Fan des Mädchens, das auf der 13.10 sendet.
Mit verbaler Verüberdeutlichung und komplett auserzählten Hintergrundgeschichten raubt die Serie ihren Figuren jegliche Ambivalenz.
Die beiden sind, wie wir in der Rückblendenstruktur der Serie nach und nach erfahren, seit jeher im Geiste durch die Kurzwelle verbunden. Vor dem Krieg lauschten der Deutsche und die Französin dort einem Mann, »der Professor« genannt, der lebensbejahend philosophierte und Wissen vermittelte.
KITSCH Werner wächst als Waise in einem Kinderheim auf und wird von den Nazis zwangsrekrutiert. Marie-Laure flieht nach dem Einmarsch der Deutschen mit ihrem Vater Daniel (sympathisch: Mark Ruffalo), der im Naturhistorischen Museum arbeitet, von Paris zu ihrem Onkel Etienne.
Aus der spannenden Grundkonstellation macht Alles Licht, das wir nicht sehen eine plumpe Seifenoper. Die kitschige Musik legt sich als Dramaverstärkung über die Bilder, die ihrerseits so wenig erzählen, dass Levy und Knight alles noch einmal über Dialoge erklären.
»Mein Vater sagte, du warst einst ein Tiger. Und du wirst wieder einer sein«, ermutigt Marie-Laure ihren Onkel, als der vom Ersten Weltkrieg Traumatisierte sich erstmals wieder vor die Haustür wagt. Uff! Mit diesem Hang zur verbalen Verüberdeutlichung und den komplett auserzählten Hintergrundgeschichten raubt die Serie ihren ohnehin wenig komplex gezeichneten Figuren jegliche Ambivalenz.
Die größte Karikatur gibt dabei Eidinger als diamantenjagender, kranker Obernazi Reinhold von Rumpel ab. Der will Daniel und seiner Tochter das »Flammenmeer« abjagen – einen Diamanten, der, so die beiden Urban Legends, verflucht oder ewiges Leben schenkt, wenn man ihn berührt.
»Das Wichtigste ist das Licht, dass wir nicht sehen können«, heißt es mehrfach. Diese eigentlich poetische Idee der Hoffnung auch in der größten Finsternis wird in der Serie zur kitschigen Plattitüde. Levy hätte gut daran getan, den Spruch zu beherzigen und weniger zu blenden.
Die Miniserie ist ab dem 2. November beim Streamingdienst Netflix zu sehen.