Wie belastend ein Leben mit Depressionen sein kann, lässt sich bei Twitter schon seit Monaten unter dem Hashtag #notjustsad – nicht nur traurig – verfolgen. An Depressionen Leidende erzählen aus ihrem Alltag und von den vielen Symptomen, in denen sich die Krankheit äußert. Besonders schwierig ist dabei die Behandlung von Menschen, die eine bipolare Störung haben – in den USA sind das rund drei Millionen Menschen, rund zehn Prozent derjenigen, bei denen Depressionen diagnostiziert wurden.
Wie lebensgefährlich diese Erkrankung ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: Zwei Drittel der Selbstmorde, die depressive Menschen begehen, werden von bipolaren Patienten verübt. Befindet sich jemand gerade in einer suizidalen Krise, ist sein Risiko, im folgenden halben Jahr zu sterben, um ein Drittel erhöht.
psychose Israelischen Wissenschaftlern ist es nun aber gelungen, das erste Medikament zu entwickeln, das gezielt gegen suizidale Krisen bei bipolaren Menschen wirken könnte – wie die Ergebnisse klinischer Studien zeigen.
Die bipolare Störung, früher unter dem Namen manisch-depressive Psychose bekannt, zeichnet sich dadurch aus, dass Phasen einer klassischen Depression sich mit manischen Episoden abwechseln, in denen der Patient überschwenglicher oder aber auch gereizter Stimmung ist. Erkrankte beschreiben in Blogs, dass sie kaum Schlaf brauchen, in regelrechter Hochstimmung sind und sich sehr kreativ fühlen, aber auch Konzentrationsschwierigkeiten haben. Wichtige Alltagsaufgaben werden dann vernachlässigt. Viele an Bipolarität leidende Blogger berichten, dass die Hochstimmung einer manischen Phase gegen Ende von der Angst vor dem Wiederauftreten der Depressionen begleitet wird, und dass sie dann an Suizid denken.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. sind besonders diejenigen selbstmordgefährdet, die an sogenannten Mischzuständen leiden, das sind schnell hintereinander oder manchmal gleichzeitig auftretende manische und depressive Symptome. Wie bei nicht-bipolaren Menschen auch, können jedoch auch Schicksalsschläge wie Trennung, Tod des Partners oder finanzielle Probleme zu suizidalen Krisen führen.
Depression Bisher gab es kaum Mittel, bipolaren Menschen zu helfen, die sich in einer solchen suizidalen Krise befinden. Das soll das Medikament Cyclurad ändern, das derzeit von dem im israelischen Haifa und im amerikanischen Wilmington ansässigen Unternehmen NeuroRx entwickelt wird. »Es gibt eine ganz klar erkennbare dringende Notwendigkeit, für die akute suizidale Krise der bipolaren Depression effiziente Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln«, stellt Daniel Javitt, Professor für Psychiatrie an der amerikanischen Columbia University und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats von NeuroRx, fest. Nach Angaben der WHO sterben, so fährt er fort, 2100 Menschen weltweit durch Suizid – täglich.
Sein Bruder Jonathan Javitt ist ebenfalls ein renommierter Mediziner, der den Präsidenten Reagan, Bush und Clinton als Experte in Gesundheitsfragen diente und CEO und Gründer von NeuroRx ist (und nebenher Thriller schreibt). Er plädiert für einen anderen Umgang mit der bipolaren Erkrankung: »Wenn jemand an Krebs stirbt, geben wir der Krankheit die Schuld und suchen nach Möglichkeiten, sie zu heilen. Wenn Menschen dadurch sterben, dass sie bipolar sind, tendieren wir dagegen dazu, dem Patienten die Schuld zu geben. Unsere Mission ist daher, ein erstklassiges, lebensrettendes Medikament zu entwickeln, das dem medizinischen Bedarf entspricht.«
Suizid war lange als Endpunkt einer Depression beziehungsweise als zur Krankheit gehörig angesehen worden – dabei legen neuere Forschungen nahe, dass bei Selbsttötung beziehungsweise Depressionen jeweils ganz unterschiedliche Nervenbahnen im Gehirn betroffen sind. Jonathan Javitt verweist außerdem auf ein großes Problem der bisher gebräuchlichen Antidepressiva: »Bei jedem einzelnen steht im Beipackzettel, dass es zu erhöhter Suizidgefahr führen kann, selbst wenn es die Symptome einer Depression mindert.«
Cyclurad soll ein schnell wirksames, oral eingenommenes Medikament sein, das aus zwei Komponenten besteht, die von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (United Food and Drug Administration) schon lange anerkannt sind: D-Cycloserin und Lurasidon. Bevor dem Patienten das Medikament gegeben wird, muss er allerdings zuerst noch ein anderes Präparat einnehmen, nämlich Ketamin, ein ebenfalls anerkanntes Anästhetikum, erst dann wird täglich sechs Wochen lang Cyclurad verabreicht.
Preis Die Ergebnisse der zweiten Phase der klinischen Studien mit dem Medikament klingen sehr vielversprechend: Depressionen konnten zu mehr als 50 Prozent reduziert werden, die Suizidalität der Patienten, also der Zustand, der umgangssprachlich Lebensmüdigkeit genannt wird, sogar um 75 Prozent. Folgerichtig wurde das Unternehmen NeuroRx für die bisherige Erforschung und Entwicklung des Medikaments soeben mit dem ersten Preis im jährlichen Start-up-Wettbewerb der IATI (Israeli Advanced Technology Industries) ausgezeichnet.
Auch wenn damit eine finanzielle Unterstützung der weiteren anstehenden Arbeiten verbunden ist, wird es allerdings noch eine Weile dauern, bis die suizidverhindernde Pille weltweit verschrieben werden kann. Ein erstes Treffen mit der FDA ist aber schon in Planung, im Herbst 2016 wird es dabei auch um eine Schlüsselstudie gehen, die Voraussetzung für die spätere Zulassung des Medikaments ist.