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Picasso unterm Hammer

Der international bekannte Schweizer Galerist und Kunsthändler Jan Krugier Foto: dpa

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Picasso unterm Hammer

Sotheby’s versteigert Kunstwerke aus der Sammlung von Jan Krugier

von Dorothee Baer-Bogenschütz  03.02.2014 19:42 Uhr

War er wohl ein wenig der Typ Spencer Tracy, der nicht nur wegen seiner Rolle in »Das Urteil von Nürnberg« als das »humanitäre Gewissen der Leinwand« galt? An den US-Filmstar erinnert fühlt sich, wer den aktuellen Sotheby’s-Auktionskatalog »Kunst des Impressionismus & Klassische Moderne« durchblättert und auf das Porträtfoto einer Legende im Kunsthandel stößt: Jan Krugier.

Für die Kamera posiert der Überlebende des Holocaust sitzend – auf einem Stuhl in einer Ausstellung. Die Zigarre klemmt im rechten Mundwinkel, während sich der rechte Zeigefinger in charakteristischer Geste in die Wange gräbt, um mit der Hand das Kinn zu stützen. Der Hut wirft einen breiten Schatten in die Stirn, darunter fallen markante Züge und der taxierende Blick auf. Beiläufig elegant – Einstecktuch! – ist die Kleidung. Die Krawatte nimmt das Karomuster des beigefarbenen Sakkos auf, ihre blauen Karrees korrespondieren wiederum mit dem Nachtblau des Oberhemdes.

Einen Gehstock birgt der Galerist, der am 15. November 2008 80-jährig verstorben ist, in der rechten Armbeuge. Die linke Hand entspannt auf den übereinander geschlagenen Beinen. Die Titel-Frage von Tracys letztem Film Rat mal, wer zum Essen kommt, der von schlimmen Vor(ver)urteil(ung)en handelt, könnte auch Krugier von seiner Tochter Tzila gestellt worden sein: Nach innen gewandt und zugleich mit allen Sinnen in der Außenwelt wirkt der prominente Kunstsammler und -händler auf dieser Fotografie von Sarah Dunn.

Sotheby’s versteigert nun auf Beschluss des Nachlasses Werke aus seiner privaten Kunstsammlung. Sie deckt rund 200 Jahre Kunstgeschichte ab. Der Großteil der insgesamt 119 Lose, geschätzt auf mehr als 39 Millionen US-Dollar, wird am Donnerstag, den 6. Februar in London aufgerufen.

Überleben Krugiers Geschichte ist filmreif. Am 12. Mai 1928 wurde er im polnischen Radom in eine gutbürgerliche jüdische Familie hineingeboren, die auch schon Kunst sammelte. Seine Jugend endete abrupt. In der rund hundert Kilometer südlich von Warschau gelegenen Stadt, wo 1939 nationale Truppen von deutschen Panzerverbänden aufgerieben worden waren, betrieben die Nazis während der deutschen Besatzung eine Außenstelle des KZ Majdanek und weitere Lager.

1942 wurde das Ghetto Radom, eingerichtet ein Jahr zuvor für 30.000 Menschen, geräumt. Für 20.000 Juden bedeutete das die Deportation ins Vernichtungslager Treblinka. Krugier, Kurier für die polnische Résistance – er schmuggelte eine Bombe ins Warschauer Hotel Bristol –, haben die Nazis 1943 gefasst. Bevor er in Auschwitz und anderen Lagern interniert wurde, entkam er zweimal aus einem Zug nach Treblinka und verbrachte acht Monate in den Wäldern. In Bergen-Belsen befreiten ihn die Alliierten. Er war der einzige Überlebende der Familie. Dank der Kinderhilfsaktion Buchenwald kam der 17-Jährige 1945 als Pflegesohn zu Margaretha Bleuler nach Zürich.

Auch die Familie Bleuler sammelt Kunst, und es drängt Krugier, sich selbst künstlerisch auszudrücken. Er will Maler werden, besucht die Kunstgewerbeschule in Zürich und den Unterricht von Johannes Itten. Doch es kommt anders. Bei einem Malaufenthalt im Engadin soll er Alberto Giacometti kennengelernt haben, den er später fördert – zusammen mit Giorgio Morandi, Wifredo Lam oder Edward Hopper. Der Schweizer Bildhauer wird ein enger Vertrauter. Er ist es, der Krugier ermutigt, die Seite zu wechseln, in ihm den Kunstvermittler und Galeristen erahnend.

Galerie »Nach allem, was du durchgemacht hast, brauchst du nicht den Monolog, sondern den Dialog«, sagt ihm Giacometti, »zumal du Künstler besser verstehst als irgendeiner sonst.« 1953 geht Krugier nach Genf in den Kunsthandel, legt aber den Pinsel einstweilen noch nicht weg. Weitere zehn Jahre dauert es, bis er die Galerie Krugier & Cie. für junge internationale Malerei und ausgewählte etablierte Positionen gründet. 1966 expandiert er nach New York. Über Jahrzehnte setzt sein Tun Maßstäbe.

Seine Galerie ist bald eine der wichtigsten Adressen für Picasso-Sammler. Krugier organisiert die erste Picasso-Schau nach dem Tod des Spaniers im Jahr 1973. Dessen langjährige Muse und Geliebte Marie-Thérèse Walter hatte ihm ihre Sammlung anvertraut. Drei Jahre später wandte sich auch Picassos Enkelin Marina an Krugier: Fortan kümmert er sich um ihren Teil aus Picassos Nachlass: Hunderte Bilder, Tausende Zeichnungen und Grafiken, darüber hinaus Skulpturen. Sotheby’s versteigert jetzt hauptsächlich Papierarbeiten Picassos aus den wichtigsten Schaffensphasen zwischen 1902 und 1967 – 18 Lose sind es insgesamt.

atelier Nur einmal waren Picasso und Krugier einander persönlich begegnet, doch wann? Christie’s meint 1952, Helena Newman, Vorsitzende von Sotheby’s Impressionist & Modern Art Department, Europa, glaubt, sie seien 1947 in Paris aufeinandergetroffen, wo Krugier – Christie’s zufolge erst zwei Jahre später – das Atelier des jüdischstämmigen weißrussischen Malers Chaim Soutine gemietet hatte. Unterdessen erinnerte sich Krugier, zusammen mit spanischen Freunden aus den Konzentrationslagern in Picassos südfranzösisches Atelier eingeladen worden zu sein. Allerdings flößte ihm der charismatische Künstler Angst ein: »Ich war so nervös.« Sein intensiver Blick soll Krugier dermaßen eingeschüchtert haben, dass er erst einmal sprachlos war.

Seit den 70er-Jahren hat »der letzte Löwe der modernen Kunst«, wie ihn Le Figaro nannte, gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau, der Künstlerin Marie-Anne Krugier-Poniatowski, eine private Kollektion mit rund 500 Kunstwerken aufgebaut, darunter Paul Klees Aquarell »Vollmond in Mauern« oder van Goghs skizzenhafter »Blick aus seinem Atelierfenster im Winter«. Die Sotheby’s-Expertin unterstreicht die »Kohärenz der Sammlung«, die »die privaten Leidenschaften« des »extrem anspruchsvollen« Sammlerpaares zeigt. Neben der Moderne waren etwa Goya, Delacroix oder Ingres zentrale Namen. Darüber komme man »dem Geist und der Seele dieses außergewöhnlichen Mannes näher«, sagt Newman.

»Ich habe das Böse im Menschen gesehen«, sagte Krugier, »in der Kunst halte ich Ausschau nach dem Besten – Kunst, die Zeit transzendiert.« Newman erkennt in den Werken aus dem Besitz Krugiers, der sich über Arbeiten auf Papier enger mit den Künstlern und ihrem Schaffensprozess verbunden fühlte, »beispiellose Ausdruckskraft« und in der exzeptionell qualitätvollen Sammlung die Reflektion zeitloser Humanität.

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