Manche Überraschung verläuft anders als geplant. Als die Eltern der norwegischen Studentin Pia Bakke unangemeldet mit Kuchen, Kerzen und Geschenk vor ihrer Haustür stehen, um zum Geburtstag zu gratulieren, erfahren sie, dass die Tochter gar nicht in Oslo weilt, sondern sich nach Israel verabschiedet hat.
Der Grund, warum Pia überstürzt und ohne sie zu informieren einfach abgehauen ist, war ein handfester Streit mit Mutter Alex, weshalb diese nun ebenfalls Richtung Israel aufbricht, um dort nach ihrer Tochter zu suchen. Dabei setzt sie voll und ganz auf die Hilfe eines früheren Freundes, des ambitionierten israelischen Sicherheitspolitikers Arik Shor.
Doch dann die Schreckensnachricht: Auf dem Sinai ist Pia zusammen mit zwei israelischen Freunden, dem Geschwisterpaar Noa und Nadav, von IS-Terroristen gekidnappt worden.
GEISELNEHMER Die Geiselnehmer fordern die Freilassung von zwölf ihrer Gesinnungsgenossen, die sowohl in Israel als auch in Norwegen in Gefängnissen sitzen. Und statt Strandurlaub am Roten Meer beginnt für die drei jungen Menschen nun ein Albtraum – nicht zuletzt auch deshalb, weil eine erste von Arik Shor nicht ganz koscher eingefädelte Befreiungsaktion gründlich danebengeht.
In ihrer Verzweiflung aktiviert die Mutter eine weitere Bekanntschaft aus alten Zeiten, diesmal die im Gazastreifen lebende Ärztin Layla. Mit ihrer Unterstützung nimmt sie Kontakt zur Hamas auf. Jetzt sind es die Palästinenser, die Pia retten sollen, weshalb Alex versucht, deren Anführer Bashir davon zu überzeugen, dass dies für alle Beteiligten eine Win-win-Situation werden könnte. Doch auch dieser Plan will nicht so richtig aufgehen, jedenfalls beim ersten Versuch.
TOP FÜNF Damit ist man auch schon mittendrin im Plot der ersten Staffel von Das Mädchen aus Oslo, die es Ende Dezember in die Top Fünf der meistgesehenen Netflix-Serien schaffte – reichlich ungewöhnlich für eine zehnteilige israelisch-norwegische Koproduktion.
Doch der Politthriller, dessen Skript von Kyrre Holm Johannessen und Ronit Weiss-Berkowitz stammt und bei dem Stian Kristiansen und Uri Barbash die Regie führten, hat es in sich. Zum einen werden die Zuschauer auf eine temporeiche Reise durch den Nahostkonflikt mitgenommen, bei der garantiert keine Langeweile aufkommt.
Statt Strandurlaub am Roten Meer beginnt für Pia und ihre israelischen Freunde ein Albtraum.
Zum anderen schaffen es die Macher, sattsam bekannte Klischees zu vermeiden oder einfach nur platte Action zu präsentieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Aspekte zur Sprache kommen, die auch außerhalb der Region von Bedeutung sind, beispielsweise die Frage, ob eine Regierung mit Terroristen verhandeln sollte oder besser nicht.
Aber es geht in der Serie um viel mehr, und darauf verweist bereits das Dreiergespann Alex, Arik und Layla, das die Freilassung von Pia verhandelt. Sie alle müssen irgendwie miteinander interagieren, um dieses Ziel zu erreichen – ähnlich wie Anfang der 90er-Jahre, als sich Israelis und Palästinenser in der norwegischen Hauptstadt zu ersten geheimen Verhandlungen trafen.
Und nun versteht man auch, woher sich alle kennen. Vor über 25 Jahren war genau dieses Trio als Diplomaten an den Gesprächen beteiligt, kennt also alle Fallstricke und Momente, in denen man sich in einer Sackgasse wähnt. »Wie damals dürfen wir nicht aufgeben«, lautet denn auch ein Schlüsselsatz in den Dialogen.
TWIST Aber die Storyline hat noch einen ganz besonderen Twist. Pias leiblicher Vater ist Arik Shor. Alex und er hatten damals eine Affäre. Nur wusste der Israeli bis dahin nichts von seinem Glück, was für ihn die Sache nicht unbedingt einfacher macht.
Somit ist auch Pia ein Resultat dieser Verhandlungen, was wiederum erklärt, warum die Serie nicht einfach Das Mädchen aus Norwegen heißt, sondern sich der Titel ganz konkret auf Oslo bezieht.
Letztendlich geht es also auch um die Rettung des Friedensprozesses. Die Figur von Laylas Sohn Jussuf, der eine zentrale Rolle in der Handlung spielt, steckt ebenfalls voller Symbolik. Denn der junge Palästinenser hat sich – bewusst in Abgrenzung zu seiner säkularen Mutter – ganz dem radikalen Islam verschrieben und sich dem IS angeschlossen, merkt aber irgendwann, dass diese Entscheidung nicht ganz so clever war.
Manchmal jedoch entsteht der Eindruck, dass die Macher des Politthrillers ein wenig zu viel des Guten wollten. So entwickelt sich in Oslo eine Art Nebenstrang der Geschichte mit Pias nicht-leiblichem Vater als Protagonisten, der etwas abgekoppelt wirkt.
FAUDA Was aber das Ganze so überzeugend macht, sind die Leistungen der Schauspieler, von denen manche aus Fauda bekannt sind. Doch Spoiler-Alarm! Das Mädchen aus Oslo ist alles andere als ein Nachahmer-Produkt der gleichfalls populären Agentenserie.
Der Titel der Serie bezieht sich ganz konkret auf die Friedensgespräche in den 90er-Jahren in Oslo.
Vor allem die weiblichen Rollen sind dominant und mit Anneke von der Lippe, die als Mutter von Pia immer wieder mit Geheimnissen aus ihrer Vergangenheit konfrontiert wird, oder Raida Adon, die als Layla an den Verhältnissen im Gazastreifen leidet und deren Widerwillen gegen die Zwangsverschleierung man förmlich spüren kann, bestens besetzt. Kein Wunder, dass die Serie zum Überraschungshit auf Netflix wurde.