Es gibt keinen falschen Zeitpunkt, die »Sparks« für sich zu entdecken. Zu spät ist man aber irgendwie immer dran. Als sie 1994 mit »When Do I Get To Sing ›My Way‹« Eurodance zu einem klugen Twist verhalfen und damit in Deutschland Erfolge feierten, waren Ron und Russell Mael schon fast in ihren 50ern.
In den 70er-Jahren wiederum erschienen die Sparks als Glamrock-Band britischen Zuschnitts; in Wahrheit hatten sie Glamrock erfunden, bevor T. Rex und andere damit berühmt wurden. Kurz darauf antizipierten die Sparks so etwas wie Punkrock, bald Synth-Pop oder New Wave. Und einer der allerersten Songs aus dem Jahr 1967, »Computer Girl«, klingt heute musikalisch wie textlich geradezu visionär.
DUO Streng genommen sind Sparks inzwischen eher Duo denn Band: Ron Mael (geboren 1945) schreibt Songs und sitzt bei Auftritten meist stoisch hinter dem Keyboard, Russell Mael (geboren 1948) singt die fantastischen Melodielinien, die sich oft in schwindelerregende Höhen hochschrauben.
Merkwürdige Texte und oft sonderbar komponierte Songs tragen sie in Falsetto vor.
Für ihre Alben und Touren werden die Sparks dann zur Band, mit ausgewählt guten Musikern an Schlagzeug, Bass und Gitarre. Zu den in Falsetto vorgetragenen, oft etwas sonderbar komponierten Songs gesellen sich merkwürdige Texte (zumal für eine amerikanische Popband!). Sparks singen über Mickey Mouse und Liebe, Las-Vegas-Showstar Liberace und Rassismus (im großartigen »White Women«) – mal von geradezu lyrischer Qualität, mal in dadaesker Albernheit.
Für den großen Durchbruch waren die Brüder stets zu seltsam, für eine Vermarktung der eigenen Seltsamkeit wohl zu eigensinnig. Als Phantome des Pop haben sie freilich überall ihre Spuren hinterlassen. Die Liste der Musiker und Künstler, die Ron und Russell Mael in Edgar Wrights Dokumentation The Sparks Brothers (2021) Tribut zollen, ist lang. Sie bekräftigt das Bild des Duos als »favorite band of your favorite bands«, als Lieblingsband der eigenen Lieblingsbands.
Ein weiteres Geheimnis der Sparks – und Beleg für die These, dass sich die Maels in einem völlig eigenen Zeit-Raum-Kontinuum bewegen müssen: Sie haben es geschafft, bald sechs Jahrzehnte Showbusiness ohne jegliche Preisgabe ihres Privatlebens zu bewerkstelligen.
FÄHRTEN Früher legte das Duo gezielt falsche Fährten, um die Gerüchteküche vor sich her zu treiben: Waren die beiden in Wahrheit vielleicht gar keine Brüder, sondern Liebhaber? Waren sie gar keine Amerikaner, sondern Briten? Als gesichert gilt inzwischen, dass beide keine Kinder haben, nicht zusammenwohnen, sich aber regelmäßig im Musikstudio in Russell Maels Haus in Los Angeles einfinden.
Bekannt ist noch ein anderer Umstand, den allerdings seinerzeit nicht einmal der inoffizielle Biograf der Band, Daryl Easlea, in seinem Buch notierte. Der verortete den Namen »Mael« irgendwo im Irischen. Tatsächlich sind die beiden Musiker als Söhne von Miriam (Moskowitz) Mael und Meyer Mael im kalifornischen Pacific Palisades geboren; die Eltern Nachfahren polnischer beziehungsweise russisch-
österreichischer Juden.
Die Mutter war Bibliothekarin und kümmerte sich später um den Sparks-Fanklub, der früh verstorbene Vater arbeitete als Künstler und Karikaturist. Liebevolle Eltern, die ihren Kindern die Welt der Musik, der Kunst und der klamaukigen Stummfilme näherbrachten. Vom Buster- Keaton-sozialisierten Humor zeugt noch heute manches Album.
In sechs Jahrzehnten Showbusiness gab das Duo praktisch nichts aus der Privatsphäre preis.
Einen Song gibt es, der eine Ahnung von der Herkunft seiner Schreiber vermitteln könnte. Auch wenn das hier selbstredend nach allen Regeln der Verkünstelung vorgetragen wird: »Girl from Germany« erzählt irgendwo zwischen Georg Kreislers beißendem Sarkasmus und feinem Spott britischer Schule von einem horrorhaften Besuch der neuen Freundin bei den Eltern, die ob deren deutscher Herkunft vor Angst erstarren.
DEUTSCHLAND Doch alle Furcht kann aufgelöst werden, denn inzwischen gibt es bekanntlich keine Nazis mehr: »My word, sheʼs from Germany/Well, itʼs the same old country/But the people have changed«, trällert Russell Mael in Falsetto zum Pfeifen seiner Bandmitglieder und übergießt das Land der Dichter und Denker im Folgenden mit einigem Spott, kaschiert als vergiftete Komplimente: Deutschland mit seinen prachtvollen Schlössern und der feinen Küche. Deutschland mit seinen wundervollen Flüssen, die von Bergen herabströmen, und den schönen Frauen, singen Sparks 1975 während eines Auftritts beim »Szene«-Musikprogramm ebenda, in Deutschland.
Nun ist auch dieser Auftritt heute, kaum zu fassen, knapp 50 Jahre her. Während andere ihren vermeintlich besten Zeiten nachtrauern, beschreitet das Duo wieder eigene Wege. Gerade ist das bereits 26. Album The Girl Is Crying In Her Latte erschienen, parallel dazu startet eine Tour, und ein zweiter Spielfilm ist ebenfalls in Planung: Nach dem starbesetzten Weirdo-Musical Annette, das 2021 die Internationalen Filmfestspiele in Cannes eröffnete, schreiben Ron und Russell Mael nun erstmals ihr eigenes Drehbuch.
Mit 74 und 77 Jahren wirken Sparks auf eine seltsame Weise noch immer so uneingehegt und neu, wie es nur Künstler vermögen, die stets die Gegenwart vorziehen. Und die natürlich immer noch davon überzeugt sind, der Welt etwas zu sagen zu haben, wie es niemand außer ihnen könnte.
»The Girl Is Crying In her Latte« ist am 26. Mai bei Island Records/Universal Music erschienen. Am 18. Juni gastieren die Sparks im Tempodrom in Berlin.