Archäologie

Pfusch an der Kotel

Gut genutzt: Löcher in der Mauer Foto: Gregor Zielke

Herodes der Große wurde übers Ohr gehauen. Der Mann, der Masada und den Hafen in Caesaria gebaut hat. Der Mann, der besessen von der Baukunst war, der sie »geatmet und gelebt« hat, wie der israelische Archäologe Ehud Netzer einmal schrieb. Doch nicht nur das – der schändliche Betrug fand zudem an einem seiner Prestigeprojekte statt: nämlich bei der Erweiterung des Jerusalemer Tempelbergs und dem Ausbau seines zweiten Jüdischen Tempels, der um 27 v.d.Z. begann und von dem heute nur noch die Westmauer zu sehen ist – die Kotel, heiligste Stätte des Judentums.

Seit Jahren ist bekannt, dass die Steine in der 46 Meter langen Mauer teils brüchig sind und sich immer wieder kleinere Brocken lösen. Auch die witterungsbedingten Risse in den Quadern sind nichts Neues und haben längst ihre Bestimmung gefunden: Sie bieten Platz für die Zettel mit Gebeten und Botschaften der Gläubigen. Vor sechs Jahren gab der zuständige Rabbiner Schmuel Rabinowitsch jedoch noch ausschließlich den Briten die Schuld: »Probleme gibt es mit den Steinen, die unter dem britischen Mandat zwischen 1917 und 1948 eingebaut wurden. Diese beginnen zu bröckeln und müssen ersetzt werden«, sagte er.

Kristalle Jetzt aber schreiben die jüngsten Untersuchungen zweier Geowissenschaftler von der Hebräischen Universität die Geschichte neu: Sie machen die Steinmetze, die im Auftrag von Herodes gearbeitet haben, für den Pfusch am Bau verantwortlich. Simon Emmanuel und Yael Levinson haben die Steine genauer unter die Lupe genommen und dabei Folgendes entdeckt: Es gibt Quader, die auch nach rund 2000 Jahren noch so gut wie unversehrt sind. Und es gibt Quader aus der gleichen Zeit, die starke Schäden aufweisen.

Um die Ursache für dieses Phänomen herauszufinden, haben die Wissenschaftler mit Laserscannern zunächst ein dreidimensionales Computermodell der Mauer hergestellt. Sie identifizierten die Quader mit den stärksten Oberflächenverlusten, verglichen ihre Struktur mit der von nahezu unbeschädigten Steinen und kamen zu dem Schluss, dass die Steine unterschiedlich große Kalkkristalle aufweisen: So haben die beschädigten Steine wesentlich kleinere Kristalle, was eine Qualitätsminderung bedeutet.

Gebote Der Schluss, den die Forscher daraus ziehen: Die mindere Qualität des Meleke-Sandsteins stammt offenbar von einem Steinbruch nördlich von Jerusalem, der erst vor zwei Jahren entdeckt worden ist und der offensichtlich für den Ausbau des Tempels genutzt wurde. Warum? Er liegt höher als die Altstadt – der Transport war also leichter, schneller und sparte Kosten. Auch damals schon ein Faktor für ein gutes Geschäft. Damit es nicht so auffiel, platzierten die findigen Baumeister die schlechteren Steine zwischen die hochwertigen Quader. Ein Glück für die Schurken, dass Herodes die Vollendung des Tempels nicht mehr erlebt hat.

Nun stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Die gute Nachricht ist, dass die Statik der Klagemauer nicht in Gefahr ist. Trotzdem wird sich eine Reparatur irgendwann nicht verhindern lassen, meinen Experten. Eine Möglichkeit wäre, die Risse mit Kunstharz zu verfüllen. Doch was den Fachleuten als notwendig erscheint, gilt noch lange nicht für die Religiösen.

So ist es nach einer der zahlreichen Auslegungen der jüdischen Gebote verboten, Steine aus der Kotel zu entfernen – selbst wenn sie nur ersetzt oder restauriert werden sollen. Zudem hatte der ehemalige sefardische Oberrabbiner Schlomo Amar verfügt, dass Reparaturen ausschließlich von Arbeitern durchgeführt werden dürfen, die ein rituelles Reinigungsbad genommen haben. Und Rabbiner Schmuel Rabinowitsch stemmt sich gegen jegliche Chemie am Stein: Eine Schutzschicht über den Quadern komme aus religiösen Gründen nicht infrage, sagt er.

Meinung

Eine Replik von Eva Menasse auf Lorenz S. Beckhardts Text »Der PEN Berlin und die Feinde Israels«

von Eva Menasse  21.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  19.12.2024

TV-Tipp

»Oliver Twist«: Herausragende Dickens-Verfilmung von Roman Polanski

Sittengemälde als düstere Bestandsaufnahme über die geschilderte Zeitperiode hinaus

von Jan Lehr  19.12.2024

Literatur

Gefeierter Romancier und politischer Autor: 150 Jahre Thomas Mann

Seine Romane prägten eine Epoche und werden noch heute weltweit gelesen. Zugleich war Thomas Mann auch ein politischer Autor, woran im Jubiläumsjahr 2025 zahlreiche Publikationen erinnern

von Klaus Blume  19.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024

Aufgegabelt

Einstein-Lachs-Tatar

Rezept der Woche

 19.12.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der Jüdischen Welt

 19.12.2024

Sehen!

Sigmund Freud und die Religion

Ein fiktiver Disput über die letzten Dinge: Matt Brown verfilmt das Buch von Armand Nicholi mit Anthony Hopkins als Sigmund Freud und Matthew Goode als C. S. Lewis

von Manfred Riepe  19.12.2024