Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes und Vorsitzende der Beratenden Kommission NS-Raubkunst, Hans-Jürgen Papier, hat sich für ein Restitutionsgesetz für Kulturgut ausgesprochen, das den Besitzern im Zuge der NS-Verfolgung entzogen wurde.
In Deutschland fehle immer noch ein rechtlich verbindliches Regelwerk zu NS-Raubkunst, kritisierte Papier. Anfang September veröffentlichte die Kommission eine Stellungnahme, in der sie weitreichende Reformen für ihre Arbeit forderte.
Herr Papier, die Beratende Kommission NS-Raubgut begeht dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Bisher sind 23 Empfehlungen ausgesprochen worden. Ist die Arbeit der Kommission eine Erfolgsgeschichte?
Mit der Arbeit der Kommission bin ich durchaus zufrieden. Jedoch war es schon immer meine Kritik gewesen, dass auch 25 Jahre nach der Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland noch immer ein rechtlich verbindliches Regelwerk zum NS-Raubgut fehlt. Man arbeitet nach wie vor ausschließlich mit politisch-moralischen »Selbstverpflichtungserklärungen«, mit einem »soft law«, das rechtlich nicht bindend ist. Was ich vermisse, ist eine rechtsnormative Ausgestaltung der Restitution von NS-Raubgut - dies würde die Kommission und vor allem die Rechte der Opfer und deren Nachfahren nachhaltig stärken.
Befürworten Sie demnach ein Restitutionsgesetz und wenn ja, wie müsste dies ausgestaltet sein?
Ja, ich spreche mich für ein Restitutionsgesetz aus und die ganze Kommission teilt diese Auffassung. Wenn man zum Beispiel die privaten Inhaber von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut mit erfassen möchte - was sehr wichtig wäre - wäre der Erlass eines sehr umfassenden Restitutionsgesetzes notwendig. Dann müsste man materiell-rechtliche Restitutionsansprüche im Gesetz formulieren, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen private Institutionen oder Einzelpersonen verpflichtet werden können, NS-Raubkunst an die Nachkommen der ehemaligen Eigentümer herauszugeben.
Hierbei wäre allerdings die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie zu beachten. Dies verlangt verfassungsrechtliche Änderungen, denn nach geltendem deutschem Zivilrecht sind Herausgabeansprüche von Nachkommen ausgeschlossen. Solche Herausgabeansprüche, die dann rückwirkend geltend gemacht werden könnten gegenüber den aktuellen Eigentümern, müssten begleitet werden durch eine Entschädigungs- und Ausgleichsregelung. Ein solches Gesetz wäre sehr weitreichend und ich fürchte, es wäre politisch schwer durchsetzbar.
Man könnte auch erst einmal kleinere Reformen angehen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der einseitigen Anrufung der Kommission durch die Nachkommen, die ein Herausgabebegehren gegen öffentliche Träger durchsetzen wollen. Zum anderen fehlt die Verbindlichkeit der Empfehlungen der Kommission. Wenn man diese beiden Reformen umsetzen will, kommt man nicht umhin, eine gesetzliche Regelung zu schaffen.
Man müsste der Kommission also kraft Gesetzes einen autonomen Rechtsstatus verleihen, zudem müsste man ihre Zusammensetzung und vor allem ihr Entscheidungsverfahren rechtlich verbindlich regeln.
Falls ein Restitutionsgesetz erlassen wird - wäre dann die Beratende Kommission nicht überflüssig?
In ihrer jetzigen Gestalt und Funktion sicherlich. Jetzt ist sie ein auf Freiwilligkeit beruhendes Mediationsorgan. Im Falle eines Restitutionsgesetzes gäbe es verschiedene Möglichkeiten, die Kommission zu erhalten und ihr echte Entscheidungskompetenz zuzuweisen. Man könnte sie mit einem Restitutionsgesetz also auch stärken. Man könnte ihren Sachverstand und ihr Erfahrungswissen nutzen. Es wäre ja schade, wenn man dieses Wissen mit der Abschaffung der Kommission verlieren würde.
Die Kommission wäre aber dann keine ausschließlich beratende mehr.
Der Gesetzgeber könnte sich zum Beispiel dazu entscheiden, die Kommission als Verwaltungsbehörde auszugestalten, die dann - auch bei einseitiger Anrufung durch die Nachkommen von Verfolgten - nach dem Amtsermittlungsprinzip entscheiden könnte, ob ein NS-verfolgter Entzug vorliegt - auch gegen den Willen der Antragsgegner - also zum Beispiel ein Museum. Oder, wenn sich der Gesetzgeber für ein zivilrechtliches Verfahren entscheidet, könnte man die Kommission als obligatorisches Schiedsgericht vorschalten.
Der Fall »Madame Soler« führte zuletzt zu einer politischen Diskussion: Die Erben von Paul von Mendelssohn-Bartholdy wollen das Picasso-Gemälde »Madame Soler« zurück, die Gemäldesammlung in Bayern sieht sich jedoch als rechtmäßige Eigentümerin und sieht deswegen keinen Bedarf, vor die »Beratende Kommission« zu ziehen. Ist der Fall »Madame Soler« ein Imageschaden für die Kommission?
Nein, aber die Haltung der bayerischen Staatsregierung offenbart die Mängel und die Schwächen des jetzigen Regelsystems. Man hat im Grunde auf die beidseitige Freiwilligkeit gesetzt und in diesem Fall greift diese nicht. Die Argumentation der bayerischen Staatsregierung ist, man habe wegen des Gemäldes »Madame Soler« keinen Streit, weil es sich laut bayerischer Staatsregierung bei »Madame Soler« um keine NS-Raubkunst handele. Aber natürlich haben wir einen Streit! Seit über zehn Jahren machen die Erben von Mendelssohn-Bartholdy ein Herausgabebegehren geltend. Die bayerische Staatsregierung ist der Auffassung, dass sie bestimmen kann, wann ein Streit vorliegt und wann die Kommission tätig werden soll - das ist schon eine sehr merkwürdige Argumentation.
Inwieweit schaden solche Fälle der Kommission und dem Bemühen um Restitution von NS-Raubkunst?
Wegen solcher Fälle wird auch vielfach im Ausland die Auffassung vertreten, in Deutschland gäbe es kein effizientes Verfahren der Restitution, wie es das Washingtoner Abkommen erfordert. Und in der Tat könnte dieser Eindruck entstehen. Jedoch muss man auch sagen, dass im Allgemeinen die Träger öffentlicher Einrichtungen, insofern sie mit einem Herausgabebegehren belangt werden, sich in aller Regel dem Verfahren vor der Kommission unterwerfen und die Empfehlung der Kommission auch befolgen. Insofern bin ich mit der Arbeit der Kommission durchaus zufrieden.