Louis Lewandowski (1821–1894) kommt wieder nach Berlin. Hier hatte der Komponist die meiste Zeit seines Lebens gearbeitet, war aber nach der Schoa fast in Vergessenheit geraten. Jetzt ehrt die Hauptstadt Lewandowski mit einem internationalen Chorfestival vom 16. bis 18. Dezember.
sponsoren Wesentlich gefördert wird das Treffen vom Berliner Einzelhandel in Gestalt von Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg und Direktor der Festivals. Kultur und Kommerz sind eine Symbiose eingegangen. Den Händlern beschert das Ereignis einen verkaufsoffenen Sonntag. Im Gegenzug sorgen sie als Sponsoren dafür, dass die enormen Ausgaben für Kost, Logis und Reise der 300 teilnehmenden Sänger geschultert werden können. Sieben Chöre aus allen Teilen der Welt wurden eingeladen, um Lewandowskis Musik aufzuführen, aus Johannesburg, London, Straßburg, Boston, Toronto und Jerusalem.
Als »Heimmannschaft« tritt das »Synagogal Ensemble Berlin« auf, bestehend aus acht Sängerinnen und Sängern, die Berliner Opern- und Rundfunkchören angehören oder freiberuflich als Solisten tätig sind. Chorleiterin und Organistin Regina Yantian, die mit ihren Musikern regelmäßig Schabbat- und Feiertagsgottesdienste in der Synagoge Pestalozzistraße begleitet, hat als ihren Festivalbeitrag die beiden Stücke Sacharti und Lach Keduscha ausgewählt: »Es gibt ein schönes Orgelvorspiel und dann Männerchor, Frauenchor, Kantor, es gibt zarte und weniger zarte Stücke und ein bombastisches Finale. Das ist einfach eines der besten Stücke, um Lewandowski vorzuführen.«
reform Die Orgel in der Synagoge – das ist eine der wesentlichen Neuerungen in der jüdischen Liturgie, die der 1821 in Wreschen bei Posen geborene Louis Lewandowski seinerzeit einführte. Der Junge aus ärmlichen Verhältnissen wurde von seinen Eltern früh nach Berlin geschickt, wo er zunächst als »Singerl« in der Großen Synagoge in der Heidereuterstraße unterkam.
Dort und später in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, an der er bis zu seinem Tod arbeitete, reformierte Lewandowski als Kantor die Liturgie grundlegend. Erstmals integrierte er vierstimmige, von der Orgel begleitete Chorgesänge in deutscher Sprache in den Gottesdienst. Dem Vorwurf der Orthodoxie, die Orgel sei mit der »Eigenthümlichkeit der altjüdischen Sangweisen« nicht in Einklang zu bringen, widersprach er resolut: »Die Orgel in ihrer großartigen Erhabenheit und Vielfachheit ist jeder Nuancierung fähig und muss in ihrer Verbindung mit alten Sangweisen von wunderbarer Wirkung sein.«
Die »alten Sangweisen«, die der Komponist als »heiliges Erbe« ansah, waren Chasanut, liturgische Gesänge, die von Kantor zu Kantor über die Jahrhunderte mündlich weitergegeben worden waren. Neben diese »oral history« setzte Lewandowski mit seinen wegweisenden Gesangbüchern Kol Rinnah u’Tfillah und Todah W’simrah eine neue Tradition, die für Generationen von Kantoren in Deutschland und Amerika einen verbindlichen Stil synagogaler Gesänge etablierte.
kritik Mit seiner Verknüpfung von jüdischer Gesangstradition und westeuropäisch-romantischer Klassik gilt Louis Lewandowski als der maßgebliche Erneuerer der synagogalen Musik. Das hat ihm Ruhm, aber auch Kritik eingetragen. Der Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov etwa, der zusammen mit Hermann Simon zum Festival das Lewandowski-Buch Liebe macht das Lied unsterblich veröffentlicht, bezeichnet Aspekte von Lewandowskis Oeuvre als »epigonal« und »belanglos«: »Es gibt Teile seines musikalischen Werkes, die sehr eng mit der jüdischen Tradition verbunden sind. Und es gibt andere Teile, in denen der Einfluss der Tradition fast gar nicht spürbar ist.«
Nemtsov verweist zum Beispiel auf einen Zyklus von Psalmen in deutscher Sprache, die Lewandowski für die Gemeinden in Nürnberg und Stettin geschrieben hatte. Bezeichnenderweise seien es gerade diese »nicht sonderlich originellen« Kompositionen, die »heutzutage auch außerhalb des jüdischen Synagogenbereichs« bekannt seien und gerne auch von christlichen Kirchenchören gesungen würden.
Das hat Tradition. Lewandowskis Musik kam schon zu seinen Lebzeiten auch bei Christen gut an. Als erster Jude überhaupt wurde er in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen. Zu seinem 25-jährigen Dienstjubliläum als Kantor erhielt er den Titel »Königlich Preußischer Musikdirektor«. Zum 50. Jubiläum folgte die Ernennung zum Professor. So viel Ehre für einen Juden war rar im Kaiserreich. Lewandowski wirkt dadurch wie ein musikalischer Musterknabe der Assimilation. Dazu passt, dass er in jungen Jahren sogar deutsch-nationale Hurrah-Lieder komponierte.
renaissance So bekannt und populär Lewandowskis Musik zu seiner Zeit war, so gründlich ist er mit und nach der Schoa in Vergessenheit geraten, auch unter seinen Glaubensgenossen. Die überlebenden deutschen Juden blieben nach 1945 zumeist im Exil; die in Deutschland sich neu bildenden Gemeinden bestanden aus Überlebenden zumeist osteuropäischer Herkunft, die eine ganz andere musikalische und religiöse Tradition hatten. »Der größte Teil der Musik, die in den Synagogen in Deutschland nach dem Krieg gesungen wurde, war nicht mehr Lewandow-ski«, sagt der Musikwissenschaftler Nemtsov
»Bis auf einige Ausnahmen wie Berlin. Nach dem Krieg ist das zu einer Art Pflegestätte für Lewandowskis Musik geworden.« Mit dem Festival, dem 2012 ein zweites folgen soll, könnte die deutsche Hauptstadt jetzt zum Ort einer Louis-Lewandowski-Renaissance werden.
www.louis-lewandowski-festival.de
Lese- und Hörtipps:
Jascha Nemtsov/Hermann Simon: »Louis Lewandowski. Liebe macht das Lied unsterblich«. Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, 80 S., 8,90 € (erscheint zum Festival)
Synagogal Ensemble Berlin: »Die Liturgie der hohen Feiertage. Louis Lewandowski«. Isaac Sheffer (Kantor) & Regina Yantian (Ltg., Orgel). CD, Jubal Music 2008