Was ist deutsch am Deutschen Buchpreis? Er wird seit sieben Jahren im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse an eine Neuerscheinung in deutscher Sprache von einer wechselnden Jury vergeben. Verlage reichen die von ihnen für preiswürdig gehaltenen Bücher ein, die Jury wählt die besten 20 auf eine »Longlist«, die erste Etappe einer Marketing-Rallye, die dann über eine sechs Titel umfassende »Shortlist« bis zur Verkündung des Preisträgers führt, in diesem Jahre eine Preisträgerin. Ursula Krechel hat für ihren Roman Landgericht, erschienen im österreichischen Verlag Jung und Jung, diesen Deutschen Buchpreis erhalten, und man stellt sich die Frage: Zu Recht?
justiz Um es vorwegzunehmen: Landgericht ist ein hervorragender Roman einer ernsthaften und vor allem durch ihre Gedichte sowie durch ihren vor vier Jahren erschienenen Roman Shanghai fern von wo ausgewiesenen Autorin. Aber auch die ausnahmslos von männlichen Konkurrenten geschriebenen Bücher von der »Shortlist« wären preiswürdig gewesen. Warum also Landgericht? Weht da ein Hauch von philosemitischer deutscher Selbstreinigung?
Der Roman handelt von dem Landgerichtsdirektor Dr. Kornitzer, der als Jude vor den Nazis flüchten musste, im Exil auf Kuba überlebte und 1947 nach Deutschland zurückkehrte. Er wird wieder Richter und sitzt einer Kammer im Landgericht Mainz vor. Die Autorin erzählt mit hoher Sachlichkeit und emotionaler Diskretion von diesem Leben nach der Rückkehr, von den Verletzungen, die Kornitzer in der jungen Bundesrepublik erfahren muss, von seinem Leben im Exil, von seinen rechtzeitig nach England verschickten Kindern, seiner wiederaufgenommenen Ehe und von der Unerbittlichkeit, mit der der glänzende Jurist eine dem katholisch-protestantischen Proporz geschuldete Neubesetzung der Position des Landgerichtspräsidenten kommentiert, indem er in einer öffentlichen Sitzung zwei einschlägige Grundgesetzartikel verliest, die er dabei für verletzt hält.
adenauer-ära Ursula Krechel hat das alles anhand wahrer Begebenheiten recherchiert, trifft das gesellschaftliche und das fachliche Milieu ihres Romans genau, zeichnet ein authentisches Gesellschaftsbild der Adenauer-Ära, erzählt den inzwischen nachgewachsenen Generationen von den Zumutungen in den »Wiedergutmachungs«-Verfahren. An keiner Stelle entgleitet ihr die anklagende Beschreibung dieser Zeit zur selbstreinigenden »Betroffenheit«.
Sie erreicht damit, dass das, wovon sie erzählt, jeden betrifft – natürlich jeden Deutschen besonders, auch jeden Juden besonders, jeden Menschen überhaupt. Der Topos, den sie literarisch gestaltet, ist die Judenverfolgung durch die Nazis und die Kälte der ersten beiden Jahrzehnte der Bundesrepublik. Hat sich das Klima hierzulande jetzt so sehr erwärmt, dass der Buchpreis wie eine – wohlfeile – nachträgliche Wiedergutmachung an der Hartherzigkeit der Damaligen wirken muss?
Der Roman selbst bietet jedenfalls keine Handhabe für eine solche Interpretation. Dass er den Preis gewonnen hat, ist seiner Qualität geschuldet. Wer will eine Jury-Entscheidung schon analysieren, in die diverse Meinungen und Motive einfließen und die im Übrigen einem »Beratungsgeheimnis« unterliegt? Hatte die Autorin einen »Gender-Bonus«, ihr Verlag einen »Österreich-Bonus«, der preisgekrönte Roman einen (jüdischen) »Themen-Bonus«? Wer die Jury-Mitglieder kennt, wird solche Erwägungen nicht völlig ausschließen, die hervorragende literarische Qualität bei der Entscheidungsfindung jedoch durch eigene Lektüre bestätigen können.
Ursula Krechel lässt Kornitzer Artikel 3 des Grundgesetzes zitieren: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Das gilt auch für Romane – ob mit »jüdischer Problematik« oder nicht.
Ursula Krechel: »Landgericht«. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2012, 495 S., 29,90 €