Fernsehen

»Oft klischeehaft verwurstet«

Juri Sternburg über jüdische Familiengeschichten im Fernsehen und seine ARD-Serie »Die Zweiflers«

von Clara Engelien  26.09.2024 08:40 Uhr

Juri Sternburg Foto: Clara Engelien/KNA

Juri Sternburg über jüdische Familiengeschichten im Fernsehen und seine ARD-Serie »Die Zweiflers«

von Clara Engelien  26.09.2024 08:40 Uhr

Herr Sternburg, mit David und Sarah Hadda haben Sie die Serie »Die Zweiflers« geschrieben. Sie läuft nun seit Anfang Mai in der ARD-Mediathek, hat in Cannes den Preis für die beste Serie gewonnen und begeistert die Kritik. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Es ist ein großer Teamerfolg. David Hadda als Produzent und Showrunner hat bis ins letzte Department hinein - von den Kostümen über die Musik bis hin zur Kamera - Leute gefunden, die sich über ein normales Maß hinaus reingehangen haben. Aus eigener Erfahrung als Drehbuchautor kann ich sagen: Egal, wie sehr du dich ins Zeug legst, es kann alles an einer simplen Sache scheitern. Großartiges Drehbuch, tolle Regisseure, aber dann kommt jemand vom Kostüm, der nicht die gleiche Vision hat, und es funktioniert einfach nicht.

Wie lief der Schreibprozess ab?
Wir saßen mehrere Jahre im Writer’s Room, das war kein klassischer Writer’s Room [Anm. d. Red.: in dem Autoren zusammenkommen, um ein Drehbuch zu schreiben]. Ich saß bei David und Sarah zu Hause, es war sehr familiär. Wir haben immer erstmal ein, zwei Stunden über unsere Familien geredet, über die neuesten Verrücktheiten. Ich war bei den Familien der beiden in Frankfurt zu Besuch, war mit denen in der Synagoge. Ich selbst bin nicht religiös aufgewachsen. Meine Vorfahren sind Holocaust-Überlebende, aber ich habe nie jüdisches Leben in der Form gelebt wie die beiden.

Sind tatsächlich alle Figuren und Handlungsstränge Ihrer persönlichen Welt entsprungen?
Was das Frankfurter Bahnhofsviertel der Nachkriegsjahre angeht - das sind historische Fakten. Nach dem Krieg gab es dort eine große jüdische Community, die Spielcasinos oder Bordelle betrieb. Eine unfassbar spannende Geschichte, die in Deutschland so noch nicht erzählt wurde und kaum bekannt ist. Das waren Menschen, die aus den Lagern kamen und in dem Moment, in dem sie körperlich wieder dazu in der Lage waren, gesagt haben: Warum sollte ich mir hier irgendwas gefallen lassen? Die durch ihre eigenen Erfahrungen auch eine Skrupellosigkeit, eine Durchsetzungskraft hatten. Wenn du ein KZ überlebt hast, macht dir jemand mit Messer im Bahnhofsviertel vielleicht weniger Angst. Also keiner von uns hat Vorfahren, die ein Delikatessengeschäft betrieben haben (lacht).

Als am 7. Oktober die Hamas Israel überfiel, waren Sie gerade mitten in den Dreharbeiten. Erschienen wiederum ist die Serie in einer Zeit, in der wir uns im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg auch hier in Deutschland in einem sehr aufgeheizten Klima befinden. Waren Sie und das Team aufgeregt, die Serie in so einer Zeit herauszubringen?
Ich fand es total wichtig. Aus dem einfachen Grund, dass wir immer vorhatten, jüdisches Leben so zu erzählen, wie es heute ist. Natürlich spielt dafür auch die Vergangenheit der Großeltern eine Rolle, der Holocaust, all das. Aber ich habe schon das Gefühl, dass jüdische Stoffe sonst in Deutschland oft so klischeehaft verwurstet wurden. Oder es werden Mehrteiler darüber produziert, wie schlimm damals alles war. Dass Juden nicht nur Opfer sind, ist eine Message dieser Serie. Das können wir aus einer jüdischen Position natürlich ganz anders erzählen. Wenn jemand Deutsches sowas produzieren und sagen würde: Juden waren nicht immer nur die Opfer - das wäre vollkommen zurecht deutlich schwieriger.

Ganz ohne Klischees und Vorurteile kommt die Serie nicht aus: die dominante Mutter, eine ziemliche Glucke, ein stets im schicken Anzug gekleideter Unternehmer als Familienoberhaupt, immer wieder geht es auch um große Summen Geld und einen teils glamourösen Lifestyle. Haben Sie nicht auch das Risiko gesehen, antisemitische Vorurteile zu bedienen?
Wir haben diese Gedanken ganz selten, wenn überhaupt zugelassen. Ein paar Überlegungen in die Richtung gab es. Aber wir haben immer gesagt: Lasst uns davon freimachen und nicht drüber nachdenken. Wenn es zum Beispiel über das Stereotyp der Mutter als Glucke geht, dann haben die drei Autoren dieser Serie vielleicht auch einfach sehr protective Mütter (lacht).

Facettenreichtum geht dabei nicht verloren.
Es geht ja um eine ganze Familie. Der Großvater in unserer Serie, Symcha Zweifler, hat sich durchaus Dinge zuschulden kommen lassen. Damit stellt sich die Frage nach Schuld in einem Staat, der versucht hat, dich umzubringen. Das sind Themen, die wir behandeln wollten. Ich fand es total schön, dass wir in diesem Klima mit einer Serie rauskamen, die sich die immer gleichen Fragen nicht stellt, die sich deutsche Produktionen oft verpflichtet fühlen, zu stellen. Wir wollten einfach eine Familiengeschichte erzählen, und diese Familie ist halt jüdisch. Aber wir wollen weder für alle Juden sprechen noch die Geschichte der Juden erzählen. Auch wenn es gewisse Eigenheiten in jüdischen Familien gibt, die durchaus mitschwingen.

Kann die Serie Empathie erzeugen oder Verständnis fördern zwischen dem »propalästinensischen« Lager und den Juden in Deutschland?
Im Idealfall ja. Aber die ganze Lage ist so festgefahren. Geht es den meisten gerade wirklich noch um die Menschen, oder geht es ihnen darum, recht zu haben in ihrer politischen Ideologie?

Den Finger in die Wunde gelegt haben Sie in der Serie auch beim Spannungsfeld in der Debatte über Holocaust und Kolonialismus. Hauptfigur Samuel Zweifler lernt Saba aus London kennen, eine schwarze Britin mit Wurzeln in der Karibik. In der Liebesgeschichte spielen vom ersten Moment an Identitätsfragen eine große Rolle.
Es war immer klar, dass es in dieser Serie um Identität geht. Im Fall von Samuel um jüdische Identität in Deutschland. Wir wollten uns vom Spannungsverhältnis zwischen deutschem Leben und jüdischem Leben entfernen und auch andere Perspektiven von Identität erzählen. Mit Saba konnten wir das. Mit deutschen Charakteren wäre das schwieriger gewesen, weil man immer diese historische Vorbelastung hat.

Saba kommt in der Familie Zweifler eigentlich immer zu kurz. Ihre Figur kam aber auch in der Serie etwas zu kurz. War das eine bewusste Entscheidung, um den Fokus auf der Familie Zweifler zu behalten?
Nein. So bescheuert es klingt, aber wir haben das Skript dem Flow überlassen, die Handlung nicht bewusst so konzipiert, dass wir bestimmte Plots erreichen oder so. Wir haben die Figuren für sich sprechen lassen. Natürlich kennen wir alle anderen Figuren wesentlich besser als eine schwarze Frau, deren Perspektive können wir nicht so gut einnehmen. Aber vielleicht können wir das ja noch erzählen.

Es wird also eine zweite Staffel geben?
Es gibt nichts Konkretes zu verkünden, aber der Plan war immer, nicht nur eine Staffel zu schreiben.

Mit dem Drehbuchautor sprach Clara Engelien.

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