Geschichte

Offizier der Reeducation

Dass ich das Glück hatte, Herbert Sulzbach als persönlichen Freund gehabt zu haben, das macht mich heute noch froh und stolz», sagt Engelbert Hoppe, 87 Jahre alt. Kennengelernt hatten sich die beiden 1946 in einem nordenglischen Kriegsgefangenenlager – der katholische Rheinländer Hoppe als Internierter, der jüdische Frankfurter Sulzbach als Offizier der britischen Armee.

Hier im Camp Featherstone Park war Herbert Sulzbach der Motor des «Reeducation Programme» für deutsche Kriegsgefangene, machte aus der «Umerziehung» Versöhnung und ehemalige Feinde zu Freunden. Später setzte er sich als Kulturattaché an der westdeutschen Botschaft für die deutsch-britische Annäherung ein. Er wurde unter anderem mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und dem Order of the British Empire ausgezeichnet.

Kriegsdienst Geboren 1894, wuchs Sulzbach in einer wenig religiösen Bankiersfamilie in Frankfurt am Main auf. Sein Großvater gehörte zu den Gründern der Deutschen Bank. Nach einer humanistisch geprägten Erziehung trat der Enkel zunächst in die Familienbank ein, meldete sich aber 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Als er 1918 mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse zurückkehrte, hatte er ein Tagebuch mit Kriegserlebnissen im Gepäck. Diese Aufzeichnungen wurden 1935 veröffentlicht.

«Sein Tagebuch zeigt ihn als einen stolzen, mutigen und patriotischen Soldaten, der nicht nur ein sehr fähiger Offizier war, sondern vor allem ein absoluter Idealist und Optimist», so die britische Historikerin und Sulzbach-Biografin Ainslie Hepburn. Diese Eigenschaften machten ausgerechnet den Juden Sulzbach zum Vorbild für Hitlers Soldaten. Noch kurz vor Kriegsende wurde sein Buch vom Oberkommando der Wehrmacht an die letzten «Verteidiger des Reiches» ausgegeben, um deren Kampfmoral zu stärken.

1920 übernahm Herbert Sulzbach in Neubabelsberg bei Potsdam die Leitung einer Papierfabrik. Er lernte Beate Scherk kennen, eine damals bekannte Theater- und Filmschauspielerin. Scherk war eine Nichte des Komponisten und Dirigenten Otto Klemperer. 1923 heirateten die beiden und führten bis in die 30er-Jahre ein angenehmes Leben mit Kontakten zur Berliner Bohème. 1938 hielten sie den Repressionen durch die Nazis jedoch nicht mehr stand und flohen nach England.

Zwei Jahre später trat Sulzbach in die britische Armee ein. Als sich bis Anfang 1945 immer mehr Lager mit deutschen Kriegsgefangenen füllten, berief man ihn als Übersetzer in das Lager Comrie in Schottland. Hier gelang es ihm, Zugang zu den verbitterten und frustrierten Deutschen zu gewinnen. Rigoros konfrontierte er sie mit den Verbrechen des Naziregimes, trat ihnen aber gleichzeitig mit Respekt und Verständnis entgegen. Seine eigenen Erfahrungen als Soldat kamen ihm dabei zu Hilfe, sein humanistisches Weltbild, sein Optimismus und nicht zuletzt seine ungewöhnlichen kommunikativen Fähigkeiten.

Charisma «Offenbar hatte er eine enorme charismatische Wirkung auf jeden, den er traf», weiß Ainslie Hepburn aus zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Weggefährten. «Wann immer er mit jemandem sprach, hatte man den Eindruck, dass er sich total für denjenigen engagierte.» Binnen kurzer Zeit überzeugte der Jude Herbert Sulzbach selbst scheinbar hartgesottene Nazianhänger davon, dass das neue Deutschland auf demokratischen und humanitären Grundsätzen aufgebaut sein müsse. Auch die britische Regierung war der Meinung, dass die Gefangenen zu Demokraten «erzogen» werden sollten.

Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Offizieren, die meist aus der Elite stammten und von denen zu erwarten war, dass sie im Nachkriegsdeutschland wichtige Funktionen übernehmen würden. Man zog also über 4000 Offiziere im Camp Featherstone Park zusammen und bestellte Herbert Sulzbach dorthin. Der gewann die Herzen der Deutschen im Sturm. Er unterstützte jede Art von sportlicher und künstlerischer Betätigung, die Einrichtung von Werkstätten, einer Lageruniversität und einer Zeitung.

Enthusiasmus Nach und nach wurde den Internierten Freigang und Kontakt zur einheimischen Bevölkerung gewährt. Aber auch hier überzeugte Sulzbach vor allem mit seiner Art des persönlichen Umgangs. «Wir nannten ihn unseren Erzengel», erzählt Engelbert Hoppe. Als das Lager im Sommer 1948 aufgelöst wurde, hatte Sulzbach zahllose ehemalige Feinde zu Enthusiasten für die deutsch-britische Verständigung gemacht. Einige Hundert von ihnen gründeten später die «Featherstone Park Association», eine Freundschaftsgesellschaft, in der ehemalige Bewacher und Gefangene mit ihren Familien Jahrzehnte lang enge Kontakte pflegten.

Auch Engelbert Hoppe gehörte dazu. Aus der Botschaft in London heraus unterstützte Herbert Sulzbach ihn wie viele andere zudem bei der Organisation neuer Schul- und Städtepartnerschaften zwischen Briten und Deutschen. Als Diplomat warb er unermüdlich in der britischen Öffentlichkeit um Verständnis für Deutschland und die Deutschen. Mit 87 Jahren erst wurde Sulzbach in den Ruhestand verabschiedet, britische und deutsche Medien berichteten darüber. Herbert Sulzbach starb am 5. Juli 1985 in London.

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025