Es ist ein Spielfilm. Und dennoch könnte man den Film Like A Complete Unknown von Regisseur James Mangold auf eine gewisse Art als den dokumentarischen Versuch bezeichnen, den Aufstieg eines jungen und ungemein talentierten Musikers nachzuzeichnen, eine Art »Making-of Bob Dylan«.
Es geht in diesem Biopic um die Jahre 1960 bis 1965. Inhaltlich bedeutet das: Es beginnt mit einem jungen, etwas abgerissen aussehenden Mann, der 1960 im New Yorker Stadtteil Greenwich Village auftaucht und eine der vielen Folkkneipen aufsucht.
Bald avanciert er zum größten Talent, zum Helden, zum Megastar dieser kleinen und sich wichtig nehmenden Szene. Aber 1965 tritt er beim Newport Folk Festival mit Band und Elektrogitarre auf, begründet den Folkrock und lässt eine wütende Community hinter sich. Greenwich Village ist gar nicht, was er als 20-Jähriger noch glaubte, sein Lebenstraum. Es ist lediglich ein Sprungbrett für ihn, und nach fünf Jahren macht er genau das, was man auf solchen Brettern halt so macht, nämlich den Absprung nach oben.
Der vielleicht wichtigste und prägendste Musiker des 20. Jahrhunderts
Der Plot mag auf den ersten Blick etwas dürftig erscheinen. Doch lässt sich in dieser ersten Hälfte der 60er-Jahre, in denen der jüdische Mittelklassejunge Robert Zimmerman zum vielleicht prägendsten und wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts aufstieg, zu Bob Dylan, tatsächlich vieles erzählen, was uns noch heute interessiert, ja, was sogar über die Geschichte vom Werden dieses Genies hinausgeht.
Es ist die sich im Film am Beispiel der letztlich stockkonservativen Folk-Community zeigende Botschaft, dass die Modernisierung der westlichen Gesellschaften gar nicht von solchen reform- und revolutionsfreundlichen linken und liberalen Kräften getragen wurde; es bedurfte vielmehr genau in diesem Milieu eines Bruchs. Oder anders formuliert: Es brauchte junge und neue Köpfe, die ganz viel umkrempeln wollten und die dabei nicht unbedingt höflich oder dankbar vorgingen.
Pete Seeger nimmt sich Dylans an, lässt ihn bei sich wohnen und vermittelt ihm erste Auftritte im Greenwich Village.
Der Film beginnt mit einem Besuch Dylans, gespielt von einem realistisch ans Vorbild erinnernden schnoddrigen Timothée Chalamet, in dem Krankenhaus, in dem sein größtes Idol liegt, und zwar der Folksänger Woody Guthrie. Der ist durch die schwere Nervenkrankheit Chorea Huntington zu einem Pflegefall geworden und kann nicht mehr sprechen. Dylan trägt am Krankenbett seinen »Song to Woody« vor. Guthrie und der sich sehr um ihn kümmernde Folksänger Pete Seeger, gespielt von Edward Norton, zeigen sich schwer von Dylan beeindruckt.
Seeger nimmt sich Dylans an, lässt ihn bei sich wohnen und vermittelt ihm erste Auftritte im Greenwich Village. Ein lustiges Detail ist, dass bei Seeger schon 1960 die Gäste zum Rauchen auf die Terrasse geschickt werden; in den Kneipen des Greenwich Village war das damals undenkbar.
Bald schon lernt der junge Dylan auch Frauen kennen: Bei einem Konzert nahe der New Yorker Columbia University nimmt Dylan – wieder ein lustiges Detail – ein christliches Gebetbuch in die Hand, um eine junge Frau namens Sylvie Russo anzusprechen, seine erste Freundin, gespielt von Elle Fanning. Es heißt, dass Dylan, der den Film autorisiert hat, Wert darauf legte, dass seine tatsächliche erste Freundin, die 2011 verstorbene Künstlerin Suze Rotolo, die einzige Person ist, die im Film einen anderen Namen erhalten soll.
Joan Baez und Suze Rotolo sorgen für die Politisierung des genialen Kids
Bald tritt auch Joan Baez (Monica Barbaro) in Dylans Leben. Sie ist damals schon berühmt – »Sie war schon auf dem ›Time‹-Cover«, wird einmal geraunt. Sie ist Dylan nützlich, holt ihn auf die Bühne und stellt ihn ihrem Publikum vor. Und beide Frauen, Baez und Rotolo, sorgen irgendwie auch für die Politisierung des genialen Kids.
Das wird immer selbstbewusster, vielleicht auch selbstsüchtiger, will sich immer weiter entwickeln, und seine großen Songs der frühen Jahre werden im Film alle von den Schauspielern gesungen. Sowohl Barbaro als Baez als auch Norton in der Rolle Seegers geben den Songs so viel Authentizität wie möglich, und Chalamet singt Dylan wie Dylan.
Dylan pochte auf seine Unabhängigkeit, war aber unfähig, sich selbst einen Kaffee zu kochen.
Überhaupt Timothée Chalamet. Der spielt Dylan beinah sensationell, sozusagen Oscar-verdächtig. Schnoddrig und arrogant, aber auch liebes- und anlehnungsbedürftig. Musikalisch und literarisch genial, aber arg auf die Hilfe anderer Künstler angewiesen. Stets auf seine Unabhängigkeit pochend, aber unfähig, sich selbst einen Kaffee zu kochen.
Dylan stellte gegen den Willen seiner Plattenfirma eine Band zusammen
Und immer einer, der sich durchsetzt. Zum Film gehört auch, wie Dylan – durchaus gegen seine Plattenfirma – eine Band zusammenstellt, die letztlich sein Album Highway 61 Revisited aufnimmt. Es sind junge Rockmusiker, die teils ihre Genialität noch entdecken müssen, wie der jüdische Gitarrist Al Kooper, der kurzerhand an die Orgel gesetzt wurde, obwohl er die zunächst gar nicht beherrschte. Heraus kam mit »Like A Rolling Stone« einer der wohl besten Songs der Rockgeschichte. Eine Textzeile daraus gab dem Film auch seinen Titel.
Der Film endet mit dem Bruch: Dylan tritt 1965 in Newport auf. Die dort versammelten Folkfreunde sind entsetzt über E-Gitarren und Verstärker, aber Dylan plärrt ihnen sein programmatisches »I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more« in die Ohren. Regisseur Mangold inszeniert eine wüste Empörungsorgie inklusive Schlägerei, in die sogar Pete Seeger involviert gewesen sein soll.
Historisch belegt ist das nicht. Um ehrlich zu sein, mit ziemlicher Sicherheit ist das falsch. Aber es hebt den Punkt deutlicher hervor, um den es Mangold geht: Bob Dylans Entwicklung vom Hilfe suchenden und Inspiration aufsaugenden Künstler, der eine eigene Musikrichtung kreiert, den Folkrock, und dabei die Rocklyrik auf ein literarisch bis dato ungeahntes Niveau hebt, ist 1965 im Wesentlichen abgeschlossen. Der Film erzählt uns diese Geschichte.
Gewiss, etliches fehlt, vieles ist verkürzt, jede Menge bedeutende Weggefährten tauchen nicht auf, Seeger wird als zu lieb und Rotolo als zu eifersüchtig dargestellt, aber dennoch: Like a Complete Unknown führt uns ganz gut das Milieu vor Augen, in dem Bob Dylan groß wurde. Es sind die netten, linken Folkies aus Greenwich Village, oftmals junge jüdische Künstler, die vieles wollten, denen aber erst ein junges Genie, das sie alle vor den Kopf stieß, zeigen musste, wie es gehen könnte.
Ab dem 27. Februar im Kino