Nachruf

Noah Klieger ist tot

Noah Klieger bei einem Vortrag über sein Schicksal in Auschwitz (vor Schülern 2013 in Berlin-Neukölln) Foto: Stephan Pramme

Der israelische Publizist und Zeitzeuge des Holocaust, Noah Klieger, ist tot. Dies bestätigte seine Familie auf Anfrage in Israel. Klieger starb am Donnerstag in Tel Aviv.

Klieger wurde 1926 in Straßburg geboren. Als 15-Jähriger schloss er sich einer Untergrundorganisation an, die mit der französischen Résistance jüdische Kinder in die Schweiz brachte. 1942 wurde er gefangen genommen und in mehreren KZ interniert. Er und seine Eltern überlebten.

AUSCHWITZ »Wir waren die einzige Familie, von der alle Auschwitz überlebt haben«, sagte er einmal in einem seiner Interviews. Nach dem Krieg beteiligte sich Klieger am Unabhängigkeitskampf des neuen israelischen Staates, wenig später begann er seine Journalistenkarriere.

»Ich habe versucht, das Thema Auschwitz zu überwinden, indem ich darüber gesprochen habe«, sagte Klieger.

Noch bis vor einigen Monaten war der 92-Jährige mit seinem Zeitzeugen-Buch 12 Brötchen zum Frühstück auf Lesetour. Die Nazi-Schrecken schien er – sofern das irgendwie möglich ist – verarbeitet zu haben: »Es gab zwei Sorten Überlebende: Solche, die nie darüber sprechen – bis heute nicht. Und es gab diejenigen, zu denen ich gehöre, die haben sofort darüber gesprochen: Ich habe versucht, das Thema zu überwinden, indem ich darüber gesprochen habe.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Noah Klieger hatte einen Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte erlebt – und überlebt: Auschwitz-Birkenau, das größte der nationalsozialistischen Vernichtungslager, den Todesmarsch, auf dem mindestens 9000 Häftlinge nur wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz entlang der Landstraße starben.

Oft kehrte er zu diesem Ort zurück und nahm an Gedenkveranstaltungen teil. Oft berichtete er dabei auch von seinem Schicksal – zumeist im Gespräch mit jungen Menschen, auf die er wegen seiner offenen und empathischen Art großen Eindruck machte.

KNESSET Am 69. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sprach er vor Knesset-Abgeordneten in Auschwitz: »Wir alle waren wie Schatten, nicht länger lebende Wesen.« Für ihn gehörte es mit zum Schwersten, über die Januartage 1945 zu sprechen – vom Todesmarsch der Häftlinge aus Auschwitz. »Wir waren 150 Häftlinge in einem Viehwaggon unterwegs nach Gliwice«, sagte der weißhaarige Mann mit den schmalen Gesichtszügen vor israelischen Abgeordneten und jungen Soldaten. »Aber wir alle waren wie Schatten, nicht länger lebende Wesen. Zwischen uns standen die Leichen derjenigen, die nicht mehr die Kraft zum Überleben hatten. Es war so eng in dem Waggon, dass die Toten nicht zu Boden fielen.«

Als der Zug endlich hielt, als sowjetische Soldaten den Häftlingen sagten, sie seien nun frei, hätten die Überlebenden nicht mehr die Kraft gehabt, beim Kaddisch zu stehen, sagte Klieger. »Wir haben auf den Toten gesessen und im Sitzen gebetet.«

Später, als Journalist im jüdischen Staat, begleitete er den Prozess gegen Adolf Eichmann.

Später, als Journalist im jüdischen Staat, begleitete er den Prozess gegen Adolf Eichmann, das Verfahren gegen Klaus Barbie, den einstigen Gestapo-Chef von Lyon, und auch die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt. Noah Klieger hat seit 1949 über fast alle wichtigen Nazi-Prozesse berichtet.

Auch den ersten Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk in den 80er-Jahren in Israel hat er verfolgt. Zum erwarteten Urteil gegen den gebürtigen Ukrainer vor dem Münchner Landgericht reiste der Journalist von Israels Tageszeitung »Jediot Acharonot« aus Tel Aviv an. »Er muss für schuldig befunden werden – damit nicht gesagt werden kann, die Wachmänner waren unschuldig. Denn sie waren es nicht«, sagte Klieger.  ja/dpa

Lesen Sie einen ausführlichen Nachruf in unserer nächsten Ausgabe.

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Fernsehen

Zieht Gil Ofarim ins Dschungelcamp? 

RTL kommentiert noch keine Namen - doch die Kandidaten-Gerüchte um Gil Ofarim und Simone Ballack sorgen schon jetzt für reichlich Gesprächsstoff

von Jonas-Erik Schmidt  27.11.2025

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025