Buchtipp

Noah - eine Überlebensgeschichte aus Auschwitz

Noah Klieger (1926-2018) Foto: Stephan Pramme

Ist »Noah« die literarische Abbitte für »Stella«? Mit seinem Roman über die jüdische Gestapo-Greiferin, die ihr eigenes Leben rettete, in dem sie untergetauchte Juden an die Gestapo verriet, hatte Takis Würger neben viel Zustimmung bei den Lesern auch viel Kritik vom Feuilleton auf sich gezogen. In »Noah« erzählt er nun erneut eine Lebensgeschichte, doch diesmal lässt er vor allem den jungen Zionisten und Auschwitz-Häftling Noah Klieger zu Wort kommen.

Der in Straßburg geborene Klieger schloss sich bereits als 13-Jähriger einer Untergrundgruppe in Belgien an, die jüdische Kinder außer Landes schmuggeln wollte. Kurz bevor er selbst das Land verlassen wollte, wurde er im Alter von 16 Jahren verhaftet, wurde nach Auschwitz deportiert und wurde dort Mitglied der Box-Staffel – obwohl er gar kein Boxer war. Aber die Extra-Suppe, die die Boxer erhielten, bot eine kleine zusätzliche Chance zum Überleben. Das war die dreifach gebrochene Nase wert.

Klieger überlebte Auschwitz, er überlebte die Todesmärsche und zwei weitere Lager. Er war an Bord der »Exodus«, wurde in Israel ein bekannter Sportjournalist und sagte als Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess aus. Nach Auschwitz fuhr er immer wieder, als Zeitzeuge, zu den großen Jahrestagen, an denen die Zahl der Überlebenden von Jahr zu Jahr schrumpft. Auch Klieger ist nun nicht mehr dabei: Er starb 2018 im Alter von 93 Jahren.

Eine dramatische Lebensgeschichte also, die in dem Würgers gut 180 Seiten umfassendem Buch auf etwa 150 Seiten geschildert wird und sich auf die Erfahrungen im Krieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit konzentriert. Seine Stärken hat »Noah« da, wo Würger ihn einfach erzählen lässt. »Von einem, der überlebte«, heißt der Untertitel und Würger hat sich, so erläutert er im Nachwort, zweieinhalb Monate lang mit Klieger über dessen Leben unterhalten.

Manche Überlebenden von Auschwitz waren ihr Leben lang in der Vergangenheit gefangen. Andere haben unterschiedliche Wege gefunden, mit dem Erlebten umzugehen – die einen haben jahrzehntelang geschwiegen, die anderen sprachen, immer wieder, mit jedem, der ihre Geschichte hören wollte, sahen ihre Aufgabe als Zeitzeugen auch in der Verantwortung gegenüber all den Toten, die nicht in Vergessenheit geraten sollten.

Noah Klieger war einer von denen, die geredet haben. Die knappen, lakonischen Sätze über die Zeit im Lager, über Erschossene und Vergaste, über Menschen, die in den Elektrozaun fassten, über Schmuggel und Arbeit, Krankheiten und den allgegenwärtigen Hunger erinnern in ihrer präzisen, unsentimentalen Art an die Berichte vieler Zeitzeugen, die immer wieder vor Schulklassen und Politikern reden, erinnern, mahnen.

Die im Buch geschilderte Geschichte über den Kaddisch, den die Überlebenden des Todesmarsche sitzend und auf gefrorenen Leichen beteten, hat Klieger etwa auch den Abgeordneten der israelischen Knesset erzählt, als diese vor einigen Jahren am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz das ehemalige Vernichtungslager besuchten.

Wenn dann Sätze von sternenklaren Nächten und gesummten Rigoletto-Arien eingeschoben werden, dann zeigt sich hingegen die Handschrift des Autors. Details wie diese sollen vielleicht Atmosphäre schaffen, wie in einer preiswürdigen Reportage – für die Eindringlichkeit der Aussagen Kliegers sind sie unerheblich.

Für den Leser dürfte letztlich auch die Klärung von Unterschieden aus den Erzählungen Kliegers und den Daten etwa der Dokumentationsstätte Yad Vashem unerheblich sein – in welchem Jahr kam Klieger nach Auschwitz, wie lange genau war er dort Häftling?

In einer Zeit, da die Stimmen der Zeitzeugen, die noch von Auschwitz und von der Schoah berichten können, sehr klein geworden ist, ist die Überlebensgeschichte des Noah Klieger ein Weg, um an die Vergangenheit zu erinnern. Im Nachwort schreibt seine Nichte: »Dass dieses Buch existiert, bedeutet für mich, dass seine lebenslange Arbeit, seine Mission, den jüngeren Generationen von den Ereignissen während des Holocaust zu erzählen, fortgesetzt wird.«

Takis Würger: «Noah. Von einem, der überlebte». Penguin, München 2021, 188 S., 20 €

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025

Mascha Kaléko

Großstadtdichterin mit sprühendem Witz

In den 20er-Jahren war Mascha Kaléko ein Star in Berlin. Die Nazis trieben sie ins Exil. Rund um ihren 50. Todestag erleben die Werke der jüdischen Dichterin eine Renaissance

von Christoph Arens  13.01.2025

Film

»Dude, wir sind Juden in einem Zug in Polen«

Bei den Oscar-Nominierungen darf man mit »A Real Pain« rechnen: Es handelt sich um eine Tragikomödie über das Erbe des Holocaust. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin laufen zur Höchstform auf

von Lisa Forster  13.01.2025

Sehen!

»Shikun«

In Amos Gitais neuem Film bebt der geschichtsträchtige Beton zwischen gestern und heute

von Jens Balkenborg  12.01.2025

Omanut Zwillenberg-Förderpreis

Elianna Renner erhält Auszeichnung für jüdische Kunst

Die Schweizerin wird für ihre intensive Auseinandersetzung mit Geschichte, Biografie und Politik geehrt

 12.01.2025