Der Historiker William E. Dodd wurde im Frühjahr 1933, wenige Monate nach Hitlers Machtantritt, von Präsident Roosevelt zum Botschafter in Deutschland ernannt. Der 64-Jährige kam mit seiner Frau und den beiden Kindern Martha und Bill im Juli 1933 nach Berlin. Sie mieteten sich in der Villa des jüdischen Bankiers Alfred Panofsky in der Tiergartenstraße ein, wo sie bis zur Abberufung 1937 blieben.
Die Dodds waren mit Sympathie für Deutschland gekommen; vor allem die umtriebige Tochter Martha konnte gar nicht genug von den jungen blonden Männern bekommen, die ihr auf Schritt und Tritt begegnen. Und schon gar nicht konnten sich die Dodds in der Anfangszeit ausmalen, was diese Generation in Hitlers Deutschland anrichten würde.
affären Der amerikanische Reporter Erik Larson hat ein gut lesbares Buch über das Leben der Dodds in Berlin geschrieben, das die historischen Fakten im Großen und Ganzen korrekt reflektiert, auch wenn die Erzählfarbe mitunter etwas zu stark getönt erscheint.
Vor allem steht die Person der seinerzeit recht ansehnlichen Martha Dodd im Mittelpunkt des Geschehens. Larson konnte da auf die Erinnerungen der 1990 gestorbenen Diplomatentochter zurückgreifen, die noch während des Krieges erschienen waren und in denen die Autorin ausführlich über ihre zahlreichen Affären und Begegnungen mit der Nazi-Prominenz (»Nice to meet you, Mr. Hitler!«) berichtet hatte. Doch wesentlicher als diese Plaudereien erscheint aus heutiger Sicht die höchst problematische Entwicklung im Verständnis der Dodds von Deutschland und dem Regime der Nationalsozialisten.
Zu Beginn steht der neue US-Botschafter mit seiner Familie der »nationalen Erhebung« erschreckend unkritisch gegenüber. Erst als sich die Zahl der öffentlichen Übergriffe gegen amerikanische Staatsbürger häufen, macht sich so etwas wie Ernüchterung bei den Dodds breit. Der Botschafter protestiert mehrfach – auch bei seinen Begegnungen mit dem neuen Reichskanzler – gegen Misshandlungen seiner Landsleute.
Doch für den Antisemitismus der neuen Machthaber, die immer schärfer werdende Bedrohungslage der Juden haben die Dodds noch kein Gespür. Zwar ist Martha entsetzt, als sie bei einem Besuch in Nürnberg erlebt, wie eine junge Frau vom Pöbel durch die Straßen gejagt wird, weil sie sich einem Juden »hingegeben« hat. Aber noch wollen der Botschafter und seine Familie nicht den im ganzen Land umlaufenden Berichten über die wachsende Diskriminierung der Juden, über die mörderische Gefährdung jüdischer Existenz, Glauben schenken.
Man besucht weiterhin Partys und Empfänge, trifft sich mit allem, was Rang und Namen hat, in Berlin und ignoriert die drohenden Gewitterwolken am politischen Horizont.
kassandra Verstört, auch entsetzt reagieren die Amerikaner auf die Ereignisse im Zusammenhang mit dem »Röhm-Putsch«, in dessen Gefolge fast die gesamte oberste SA-Führung von Himmlers SS umgebracht wird. Hitler nutzt die Gelegenheit, um als »Oberster Gerichtsherr« eine Vielzahl von unbequemen Kritikern umbringen zu lassen, wie den früheren Kanzler Kurt von Schleicher oder seinen ehemaligen Gefolgsmann Gregor Strasser.
Dem US-Botschafter gingen erst angesichts dieser Gewaltexzesse die Augen über den wahren Charakter des Regimes auf. Von nun an warnte Dodd seine Regierung in Washington vor Hitlers Aggressionspolitik und vor der deutschen Aufrüstung. Als »Kassandra in Berlin« hatte Dodd indes keinen leichten Stand im State Department. Und für eventuelle Interventionen zum Schutz der jüdischen Bevölkerung sah man in Washington keinen Anlass.
Währenddessen ging in Berlin der Tanz auf dem Vulkan lustig weiter. Die Affären von Martha, der 24-jährigen Tochter des Botschafters, wurden zum Stadtgespräch. Der Fliegerheld Ernst Udet, Hitlers Pressechef Ernst »Putzi« Hanfstaengel, der Chef der Gestapo, Rudolf Diehls, der französische Botschaftsrat Armand Berard und der spätere Physik-Nobelpreisträger Max Delbrück erfreuten sich ihrer Zuneigung.
Marthas große Liebe aber war der NKWD-Agent Boris Winogradow, der als Sekretär an der sowjetischen Botschaft in Berlin arbeitete und später im Zweiten Weltkrieg auf Stalins Befehl hingerichtet wurde.
Die Geschichte der Dodds und ihrer Jahre in Berlin hat etwas Tragisches an sich. Vielleicht hätte ein anderer Botschafter in dieser Position mit mehr Energie und Durchsetzungskraft die Amerikaner von der Notwendigkeit einer härteren Gangart gegenüber Hitler-Deutschland überzeugen können. Erik Larson lässt solche, im Grunde auch unhistorischen Fragen offen.
Er schildert stattdessen aufgrund einer reichen Quellenlage anschaulich, wie sich nach unkritischer Anfangsbegeisterung für die »braune Revolution« der Mehltau von Angst und Bedrückung lähmend in diesen Jahren ausgebreitet hat.
Erik Larson: »Tiergarten – in the Garden of Beasts. Ein amerikanischer Botschafter in Nazi-Deutschland«. Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, 512 S., 25,70 €