Es hätte auch gern der Goldene Bär der 70. Berlinale sein dürfen. Aber Never Rarely Sometimes Always war mit dem Großen Preis der Jury nur ein Silberner Bär vergönnt. Der Film von Eliza Hittman wird sich dennoch tief in die Herzen des Publikums einbohren.
Der Abspann läuft, aber der Film will nicht enden. Man bleibt lieber bei Autumn, der 17-jährigen Hauptfigur, als müsste man sie beschützen. Die Schülerin wird von Sidney Flanigan, der fulminanten Neuentdeckung des US-Kinos, so überzeugend gespielt, dass man Rolle und Realität oft nicht unterscheiden kann.
Autumn ist ein Kind vom platten Land, aus Pennsylvania, wo sie ihr Taschengeld in einem öden Supermarkt aufbessert, um den Preis, dass ihr Chef sie beim Abkassieren nebenbei begrapscht.
Abtreibung Ein kurzer Schnitt auf ihren wie zufällig entblößten Bauch zeigt: Autumn ist schwanger. Mit Faustschlägen in die Magengrube versucht sie, das ungewünschte Balg loszuwerden, aber es bleiben ihr nur blaue Flecken. Mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) flüchtet sie nach New York, zu einer Abtreibung, heimlich, tagsüber, damit daheim ihr Verschwinden nicht auffällt.
Die titelgebende Schlüsselszene des Films ist eine Befragung durch eine medizinische Mitarbeiterin einer Abtreibungsklinik, die so realistisch wirkt, dass man sich in einem Dokumentarfilm wähnt.
Vier Antworten stehen Autumn zur Wahl: »nie, selten, manchmal, immer«.
Dann die entscheidende Frage: ob sie je nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte. Vier Antworten stehen Autumn zur Wahl: »nie, selten, manchmal, immer«. Sie zögert, sucht Halt in den Augen der Fragestellerin, sie ringt mit sich. Tränen ersticken ihre Stimme. »Manchmal«, versucht sie zu sagen und bricht das Wort in der Mitte ab.
Gefahr Der Eingriff dauert zwei Tage, das bisschen Bargeld ist längst verbraucht, und so ziehen sie durch New York, kein Dach über dem Kopf, immer in Gefahr, nicht Verbrechern in die Hände zu fallen, sondern nur Männern, was in ihrer Situation aber das Gleiche ist. Die Cousine fragt Autumn, ob sie sich einmal gewünscht hätte, ein Junge zu sein. Sie antwortet: immer.
Selten sind Einsamkeit in der Menge und Bedrohung so bedrückend nachgezeichnet worden. Minderheiten kennen das Gefühl: Juden, Muslime, Migranten, Flüchtlinge. Dieser Film aber zeigt, dass auch für die weibliche Mehrheit der Menschheit der öffentliche und oft genug auch der private Raum gefährlich sind. Im Sommer kommt der Film in die deutschen Kinos.