Wuligers Woche

Neujahr mit Greta

In aller Munde, auch an den Hohen Feiertagen: Greta Thunberg Foto: imago images/TT

Sehr geehrte Rabbinerinnen und Rabbiner,

ich weiß, Sie haben dieser Tage viel zu tun. Die Hohen Feiertage sind für Ihren Berufsstand, was Weihnachten für den Einzelhandel ist: purer Stress. Dennoch bitte ich Sie um fünf Minuten Ihrer Zeit.

Highlight Es geht um ein Grundsatzproblem: Ihre Predigten. Ich spreche hier für die große Masse der Gottesdienstbesucher, die Sie sonst nie in Ihren Synagogen sehen, die aber wenigstens zu Rosch Haschana und Jom Kippur den Weg zu Ihnen finden. Weil wir so selten beten gehen, ist der Synagogenbesuch für unsereins ein Highlight des Jahres. Und wir erhoffen uns davon etwas Besonderes, das wir sonst nicht erleben.

Im Prinzip funktioniert das auch. Man befindet sich in einer unbekannten Umgebung, stammelt sich stockend durch die wenig vertrauten Gebete und fühlt sich, nachdem das erste Befremden sich gelegt hat, auf angenehme Weise frei vom Alltag. Bis dann die Predigt kommt und einen rüde in die gewohnte Realität zurückreißt. Denn Sie, verehrte Rabbinerinnen und Rabbiner, pflegen oft Themen anzusprechen, mit denen die Gottesdienstteilnehmer bereits durch Zeitung, Fernsehen und soziale Medien ausgiebig bedient worden sind.

Klimadebatte Aktuell ist das gerade die Klimadebatte. Die Medien kennen kaum ein anderes Thema. Fridays for Future, Kohlendioxid und Greta – es gibt kein Entkommen. Es ist fast wie in dem alten DDR-Witz: »Ich schlag’ die Zeitung auf: Parteitag. Ich mach’ das Radio an: Parteitag. Ich mach’ den Fernseher an: Parteitag. Ich trau’ mich jetzt kaum, den Kühlschrank zu öffnen.«

Fridays for Future, Kohlendioxid und Greta – die Medien kennen kein anderes Thema.

Und ich trau’ mich kaum, an Ihre Predigten zu denken. Denn, da gehe ich jede Wette ein, genau über das Klima werden auch Sie reden, begründet mit weisen Worten aus Tora und Talmud plus viel Tikkun Olam. Ich weiß, Sie tun das, um gerade den sporadischen Besuchern vor Augen zu führen, wie nahe der Glaube am Alltag ist, möglicherweise in der Hoffnung, sie damit zu häufigerem Kommen zu animieren.

Und Sie können sich dabei auf rabbinische Autoritäten berufen. Rabbiner Samson Raphael Hirsch, der Vater der modernen Orthodoxie, hat den talmudischen Begriff »Tora im Derech Eretz« so ausgelegt, dass zu einem gottesfürchtigen Leben auch die Interaktion mit der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft gehört.

Gelegenheit Ich will Ihnen das auch überhaupt nicht madig machen. Rabbiner haben es nicht leicht. Die seltene Gelegenheit, sich mal 20 Minuten äußern zu können, ohne dass jemand dazwischenredet oder widerspricht, sei Ihnen herzlich gegönnt.

Als Journalist weiß ich zudem, dass Themenfindung ein mühsames Geschäft ist und man im Zweifelsfall am besten fährt, wenn man aufgreift, was ohnehin in aller Munde ist. Deshalb werde ich, auch wenn ich wenigstens an den Hohen Feiertagen gerne mal etwas anderes als Klima, Klima, Klima hören würde, selbstverständlich trotzdem in die Synagoge kommen.

Versprechen kann ich nur nicht, dass ich auch Ihrer Predigt mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen werde. Ich bitte dafür um Nachsicht – und wünsche Ihnen Schana towa.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025