Als das britische Mandat für Palästina am 14. Mai 1948 endete, wurde im Stadtmuseum von Tel Aviv der Staat Israel ausgerufen. Das weiß man. Weit weniger bekannt ist bis heute, wie der neue Staat sich architektonisch und städtebaulich entwickelte und damit seine räumliche Identität erfand, die das Land bis heute prägt. Und völlig neu dürfte den meisten sein, dass die Aufbauarbeit in Israel in überraschender Weise dem Wiederaufbau im kriegszerstörten (West-) Deutschland ähnelte.
Ein neues Buch über die städtebauliche Erfindung des modernen Israel und den Wiederaufbau in der Bundesrepublik wirft erstmals ein interessantes Licht auf diese Parallelen. Die beiden Herausgeberinnen, Karin Wilhelm aus Braunschweig und Kerstin Gust aus Berlin, präsentierten das Werk Neue Städte für einen neuen Staat vergangenen Freitag im Jüdischen Museum Frankfurt/Main.
Austausch Im Zentrum ihres Interesses steht der Nationalökonom Edgar Salin (1892–1974), der in den 50er- und 60er-Jahren für die List-Gesellschaft eine Untersuchungsreihe über den Aufbau Israels initiiert und damit einen wichtigen Beitrag zum Wissenschaftsaustausch zwischen beiden Ländern geleistet hatte. Bertram Schefold verwies in Frankfurt in seinem Beitrag über »Edgar Salin: Skizze von Leben und Werk« auf die Bedeutung von Salins Arbeit für die Wiedergutmachungspolitik.
Schefold ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt und war Salins letzter Assistent. 2010 verlieh ihm die Ben Gurion University in Beer Sheva den »Guggenheim Prize in the History of Economics« für sein Lebenswerk.
identitätsbildung Der Städtebau der Moderne hatte auf die Identitätsbildung und das »Nation Building« in Israel entscheidenden Einfluss. Die Städte in Israel sahen sich Ende der 40er-Jahre einem neuen Strom von Zuwanderern aus aller Welt gegenüber.
Bis 1967 wurden 30 Neustädte aus dem Wüstenboden gestampft. Salin prägte den Städtebau in beiden Ländern intellektuell und planerisch mit. In seinem »Israel Research Project« von 1958 untersuchte er die Energie-, Verkehrs- und Städtebaupolitik Ides Landes. Seine Ergebnisse spielten eine zentrale Rolle bei der Standortwahl der neu geplanten Städte und der Erschließung der Negevwüste. Die im Kibbuz praktizierte kooperative Wirtschaft wurde zum Leitbild einer »Planung ohne Planwirtschaft«, wie Salin sie bewarb.
Das bundesdeutsche Bild von Israel als »Staat der Hoffnung«, in dem die Menschen »Mut, Liebe, Pioniergeist und Zähigkeit beweisen«, (so Marion Gräfin Dönhoff, die 1935 bei Salin promoviert hatte), bekam aber bald Risse. Heute assoziiert man mit Städtebau in Israel eher die Siedlungspolitik.
Karin Wilhelm, Kerstin Gust (Hg.): »Neue Städte für einen neuen Staat. Die städtebauliche Erfindung des modernen Israel und der Wiederaufbau in der BRD«. transcript, Bielefeld 2014, 350 S., 34,80 €