Second-Hand-Laden gegenüber Delikatessen-Geschäft, Berliner Schnauze und babylonisches Sprachen gewirr, Touristenmassen neben Kinderwagenschlangen: Bei allen Klagen über die Gentrifizierung von Berlins Mitte haftet speziell dem Viertel rund um den Rosa-Luxemburg-Platz zumindest stellenweise noch etwas charmant Widersprüchliches an. Dass derartige Kontraste eine Künstlerin reizen, verwundert nicht.
Kulturleben Und tatsächlich ist Alona Harpaz begeistert von der Nachbarschaft der neuen Circle1-Dependance, die kürzlich hier in der Schönhauser Allee eröffnet hat.
»Die Umgebung ist grandios«, schwärmt die gebürtige Israelin, die 2013 gemeinsam mit anderen Künstlern Circle1 als »Plattform für Kunst und Kultur« ins Leben gerufen hat. In den vergangenen Jahren ist das Projekt stetig gewachsen und mittlerweile eine feste Größe im Berliner Kulturleben, um neue kreative Stimmen aus Israel kennenzulernen.
Touristen und Kinderwagen, Berliner Schnauze und babylonisches Sprachen gewirr
Die Entwicklung von Circle1 zeigt sich auch räumlich: Am Anfang bespielten die Künstler eine kleine Galerie in Kreuzberg, bevor vor einem guten Jahr neue, größere Räume in der Schöneberger Hauptstraße bezogen wurden. Und nun die Zweigstelle mitten in Mitte – eine Expansion, die nicht geplant war. Denn in der Schönhauser Allee ist Circle1 Teil eines Projekts namens »House of Berta«. Dahinter verbirgt sich ein Komplex aus Bar, möbliertem Innenhof, Konferenzraum, Keller – und eben der Galerie, die zusammen ein rustikales Labyrinth bilden, das an das Berlin der 90er-Jahre erinnert.
Besitzer des Hauses ist Shaul Shani, sein Sohn Joel managt den Komplex. »Shaul Shani ist auch Kunstliebhaber und Sammler«, erklärt Malerin Harpaz. »Er wollte, dass Kunst ein Teil des Hauses wird, und hat uns gefragt, ob wir hier Ausstellungen kuratieren.« Diese Gelegenheit ließen sich die Circle1-Macher nicht entgehen, denn für Alona Harpaz gibt die überschaubare Ausstellungsfläche Raum zum Experimentieren: »Bei einem kleineren Raum kann man ein größeres Risiko eingehen«, sagt sie. »Das ist wie beim Malen: Wenn man es nicht ganz so ernst nimmt, wird es oft besser.«
In der Schönhauser Allee liegt der Fokus auf Fotografie.
Harpaz hofft, dass die Zweigstelle ein anderes Publikum erreicht als die Hauptgalerie in Schöneberg. »Das können zum Beispiel Menschen sein, die hier im Berta-Haus eigentlich ein Konzert besuchen wollen und uns zufällig entdecken«, erklärt sie. Ein Gedanke, der sie zum Lächeln bringt: »Ich mag es, wenn Kunst allen offensteht und nicht aristokratisch ist.«Tatsächlich geht die Idee schon bei der Eröffnung des »House of Berta« auf: Die Gäste können das Areal nur durch die Ausstellung betreten, in der Folge zieht eine bunte Besuchermischung an den nicht minder diversen Bildern der ersten Schau vorbei.
Porträt So findet sich neben dem pastelligen und doch farbenfrohen abstrakten Gemälde von Harpaz selbst das naiv-expressive Bild einer Frau von Ofir Dor, ebenfalls Teil des Circle1-Teams. Gegenüber hängen eindrucksvolle fotografische Porträts von Neta Dror, die ein rothaariges Mädchen zeigen, welches die Fotografin im Abstand von fünf Jahren abgelichtet hat. Der Unterschied zwischen dem Kind und der jungen Frau ist frappierend.
Das stilistische Durcheinander dieser ersten Ausstellung ist Absicht.
Daneben kreieren zwei Aktfotos von Hadas Tapouchi eine inszenierte und gleichzeitig doch intime Atmosphäre, in der sich eine der abgebildeten Frauen kopfüber auf einem Sofa räkelt. Ein ähnlicher Widerspruch findet sich in den Malereien von Benjamin Rapp und Eldar Farber: Während in Ersteren scharfkantiges Rot die abstrakten Farbwirbel zerschneidet, dominiert in den »Deutschen Landschaften« von Farber, Sohn von Schoa-Überlebenden und Partner der Galerie, sanftes Grün.
stil Das stilistische Durcheinander dieser ersten Ausstellung ist durchaus Absicht: »Wir wollten damit die Circle1-Kunst präsentieren, quasi unseren Showroom zeigen«, sagt Alona Harpaz. Als Besucher hat man so trotz des übersichtlichen Raumes das Gefühl, auf eine Entdeckungsreise geschickt zu werden – die ein Zimmer weiter in eine überraschende Videoinstallation von Julia Gnatowska führt. An abgenutzte und teilweise gesprungene Kacheln werfen Projektoren Bilder von mehr oder minder bekleideten Körpern.
Von dort aus sind es nur wenige Schritte zum Innenhof des Hauses, in dem Sitzecken aus Holzpaletten inmitten eines Gartens eine weitere unerwartete Station des Komplexes bilden. Hinter einer Tür verbirgt sich der Abstieg in den Keller, durch den laute elektronische Klänge dröhnen, während eine andere Treppe den Weg zu einer Bar und einem Veranstaltungsraum weist. Die vielen verschiedenen Bereiche erwecken den Eindruck eines verwunschenen Wunderlandes, in das sich die Circle1-Dependance nahtlos einfügt.
Zu Circle1 gehören neben den Ausstellungen Musik, Performances, Talks und Events.
Denn auch das Galerieprojekt lebt von seinen vielen verschiedenen Facetten. »Zu Circle1 gehören neben den Ausstellungen Musik, Performances, Talks und Events«, zählt Alona Harpaz auf. In der Schönhauser Allee werde der Fokus allerdings vermutlich auf Fotografie liegen, als Nächstes sollen Arbeiten des israelischen Künstlers Benyamin Reich gezeigt werden, der vor allem für seine fotografischen Eindrücke in das Leben ultraorthodoxer Juden bekannt ist.
auftakt Insgesamt steht das Programm für die kommenden sechs Monate – den Auftakt macht am 16. Mai Benyamin Reich. Ob Circle1 die Fläche über Oktober hinaus bespielen wird, ist noch nicht gewiss. »Ich hoffe, dass es hier weitergeht«, sagt Alona Harpaz.
Ein weiterer Wunsch von ihr: »Mein Traum wäre es, mit Circle1 Bildungsprogramme zu starten.« Schon jetzt gebe es ein künstlerisches Projekt mit einer Schule in Israel, bei dem arabische und israelische Schüler zusammenarbeiten, das Ergebnis werde Mitte Juni in Berlin gezeigt. Für Harpaz nur ein Beispiel für Kunst als Brückenbauer: »Unsere Kommunikation ist Kunst, nicht Politik.« Gerade dafür sei die junge Generation wichtig. »Die Galerie bringt immer wieder verschiedene Kulturen zusammen, ich selbst bin mit einem Deutschen verheiratet und arbeite mit Palästinensern«, betont Harpaz. »So zeigt meine Geschichte, wie man neue Samen säen kann.«