Das berühmte Foto, das Theodor Herzl zeigt, wie er 1898 in Palästina mit dem Hut in der Hand vor Kaiser Wilhelm II. steht, ist nicht echt. Max Bodenheimer, ein Zionist der ersten Stunde und Weggefährte Herzls, hatte die Aufnahme verwackelt, weshalb sie unbrauchbar war und eigens eine Fotomontage angefertigt wurde.
»Gleichwohl ist die Begegnung fest in der zionistischen Legende verankert«, schreibt der Politologe und Historiker Shlomo Avineri in seiner Biografie des Gründervaters des modernen Zionismus. Auf Basis der vielen Tagebuchaufzeichnungen Herzls entwirft Avineri das Bild eines Selfmade-Mannes, der sich vom Journalisten und Feuilleton-Autor zu einem Meister dessen entwickelte, was man heute unter dem Begriff »Networking« versteht.
Juden Frei nach Heines Devise »Ein kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen« hatte Herzl die Größen seiner Zeit kontaktiert, verhandelte mit Großbritanniens Außenminister Joseph Chamberlain, Russlands Innenminister Wjatscheslaw Konstantinowitsch von Plehwe oder dem Großwesir des osmanischen Sultans – wohl wissend, dass die meisten von ihnen alles andere als judenfreundlich eingestellt waren und in den Konzeptionen Herzls eher eine Möglichkeit sahen, ihre ungeliebten Juden loszuwerden.
Seine politischen Ideen sollte Herzl in seinem Buch Der Judenstaat konkretisieren, das vor genau 120 Jahren erschien. »Es weckte die Fantasie der jüdischen Massen in Ost- und Mitteleuropa«, schreibt Avineri. Gleichzeitig räumt der Autor mit der gängigen Erklärung auf, dass es die Dreyfus-Affäre in Frankreich gewesen sei, die den liberalen und assimilierten Herzl zum Stichwortgeber eines jüdischen Nationalgedankens mutieren ließ. Vielmehr brachten ihn die bürgerlichen Vertreter eines neuen Judenhasses, die nunmehr überall in Europa die Biologie als Argumentationshilfe gegen Juden in Stellung brachten, auf den Plan.
Propaganda »Mit seiner Feinfühligkeit gegenüber antisemitischem Sprachgebrauch – einem Phänomen, das seinen Höhepunkt in der Nazipropaganda erreichen sollte – war Herzl seiner Zeit weit voraus.« Und mit seinem 1902 veröffentlichten utopischen Roman Altneuland wandelte sich der Politiker Herzl zurück in einen Schriftsteller, der trotz seiner pessimistischen Analyse der Gegenwart das Fortschrittsdenken des Fin de Siècle in seiner reinsten Form verkörperte.
Noch etwas lässt den unermüdlichen Networker im Auftrag des Zionismus aus der Masse der Intellektuellen hervorstechen: Zu einer Zeit, da rassistische Theorien selbst bei liberalen Köpfen gang und gäbe waren, wies Herzl all diese Konzeptionen als Grundlage einer jüdischen nationalen Identität zurück. Darüber hinaus propagierte er die Idee der politischen und gesellschaftlichen Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann. Genau deshalb sei auch den Kritikern des Zionismus diese profunde und sehr kurzweilig geschriebene Biografie wärmstens empfohlen.
Shlomo Avineri: »Theodor Herzl und die Gründung des jüdischen Staates«. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2016, 362 S., 24,95 €