Eine grüne Wiese, umgeben von Bergen, eine friedliche Landschaft. Doch das Idyll täuscht. Gleich tauchen Flüchtlinge mit Gepäck auf, Männer in Uniformen passen sie ab und feuern Warnschüsse in die Luft. Die Flüchtlinge rennen davon, die Uniformierten stürzen sich auf ihr Gepäck und nehmen es mit.
Es ist die Eingangsszene des Films Ein Jude als Exempel, den der Schweizer Regisseur Jacob Berger nach dem gleichnamigen Roman des 2009 verstorbenen Schriftstellers Jacques Chessex gedreht hat. Und sie macht gleich zu Beginn deutlich: Dass solch ein Diebstahl gerade hier nahe von Payerne stattfindet – und dies im Jahr 1942 –, ist kein Zufall. Denn dieses Payerne, ein kleiner Ort in der französischsprachigen Schweiz, scheint in diesen Jahren eine Art Nazi-Nest zu sein.
Wehrmacht Da ist zum Beispiel der Besitzer einer Autowerkstatt, der sein überaus finsteres Unwesen treibt. Schon in aller Frühe hört er deutsche Marschmusik, schießt in einem Steinbruch mit seinen braunen Spießgesellen auf Papp-Menschen und stößt wilde Drohungen gegen andere Payerner Bürger aus. Vor allem aber: Er und die Nazis von Payerne stehen in engem Kontakt mit der deutschen Botschaft; im Falle eines Einmarsches der Wehrmacht in die Schweiz wollen sie auf die eidgenössischen Nationalsozialisten setzen.
Quasi als Opfergabe soll, es naht des Führers Geburtstag, ein Jude als »Exempel« (darum der Titel) ermordet werden. Allzu prominente Juden fallen weg, auch die Mitglieder der nahen Jüdischen Gemeinde von Lausanne seien zu gut geschützt, stellen die Nazis ernüchtert fest. Deshalb fällt die Wahl auf den Berner Viehhändler Arthur Bloch: Wegen seines Berufes verbringt er viel Zeit in Payerne, wo es auch einen Viehmarkt gibt.
Kein Geringerer als der Schweizer Schauspieler Bruno Ganz gibt den Arthur Bloch, er, der auch schon den Hitler gespielt hat. Nach dem Täter das Opfer – es wäre nicht Bruno Ganz, würde er das nicht in großartiger, ja sensationeller schauspielerischer Manier umsetzen. Ein gutmütiger älterer Herr, dem es offensichtlich wichtig ist, sein Geld und seinen Besitz zu zeigen. Und dies in einer Zeit, in der nicht nur bei Nazis der Neid auf den »jüdischen Reichtum« groß und beinahe mit Händen zu greifen ist.
autor Doch weil der unglaublich brutale Mord – nachdem sie ihn getötet haben, zerstückeln die Payerner Nazis Bloch wie ein Stück Vieh und versenken ihn in Milchkannen in einem nahe gelegenen See, was der Geschichte der Tat entspricht – relativ am Anfang des Filmes passiert, konzentriert sich Ein Jude als Exempel bald auf den Autor des gleichnamigen Buches, den Schriftsteller Jacques Chessex.
Der 1934 geborene Chessex wächst als kleiner Junge in ebenjenem Payerne auf; er sieht das Treiben der einheimischen Nazis ebenso wie jüdische Kinder, die teilweise massiv bedroht werden – und er wird von der Ermordung Blochs bis ans Ende seines Lebens verfolgt. Als sein Buch 2009 erscheint, reagieren die Stadt und die Region beleidigt, ja aggressiv. Chessex wird angefeindet und gehasst, an der lokalen Fasnacht fahren zwei riesige Milchkrüge mit, auf einem steht: »Hier ruht Chessex« mit einem gezackten »SS« in der Mitte. Eine geradezu unglaubliche Geschmacklosigkeit.
Im gleichen Jahr stirbt der Autor an einem Herzinfarkt, wobei der Film hier die Geschichte nicht historisch korrekt wiedergibt: Der Grund war nicht eine verbale Attacke während einer Lesung. Doch gibt es zumindest moralisch eine Mitschuld der Uneinsichtigen am plötzlichen Tod von Chessex. Und nicht zuletzt: Bis heute erinnert in Payerne keine Gedenktafel an die Geschehnisse von 1942. Aber es gibt wenigstens das Buch und nun auch den Film über diesen barbarischen Mord in einem – zumindest formal – neutralen Land mitten im Zweiten Weltkrieg.
Der Film läuft im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg. Am Samstag, 8. Juli, feiert »Ein Jude als Exempel« im Berliner Kino »Filmkunst 66« Premiere.