Trollkämpfe für (jüdische) Teens
Gibt es ein jüdisches Narnia, also fantastische Literatur mit jüdischer Prägung, analog zu C. S. Lewis’ christlicher Narnia-Buchreihe? Im Jahr 2010, als diese Frage, ausgelöst durch einen Artikel von Michael Weingrad, die Gemüter der Fantasy-Theoretiker erhitzte, erschien das Debüt des Comiczeichners Barry Deutsch: Hereville – How Mirka Got Her Sword.
Auf dem Cover der Slogan: »Yet Another Troll-Fighting 11-Year-Old Orthodox Jewish Girl«, von dem jedes Wort stimmt – bis auf »yet another«. Denn obwohl die Welt der Fantastik voll auserwählter Jugendlicher ist, die den Kampf mit Ungeheuern aller Art aufnehmen, handelt es sich dabei seltener um Mädchen, noch seltener um jüdische und schon gar nicht um solche, die in einer orthodoxen Gemeinschaft in direkter Nachbarschaft zu Trollen leben.
Aber genau dies ist der Fall in der fantastisch-jüdischen Parallelwelt Hereville, in der die Heldin Mirka mit ihrer wortgewandten Stiefmutter Fruma um die Wette diskutiert, Schabbat feiert, aber auch einer Hexe und deren rachsüchtigem Schwein begegnet und sich auf äußerst unkonventionelle Weise mit einem Troll misst.
Deutsch ist ein exzellenter Zeichner, der seine Figuren ernst nimmt und in ein stimmiges Setting einbettet. Und so stellt sich weniger die Frage, ob es ein jüdisches Narnia gibt (oder geben muss), sondern wieso nicht noch mehr jüdische Trollkämpferinnen die Literatur bevölkern – und wann Deutschs Jugendcomic endlich in deutscher Übersetzung erscheint. Hadassah Stichnothe
Barry Deutsch: »Hereville – How Mirka Got Her Sword«. Amulet Paperbacks, New York 2012, 144 S., 10,99 $
Von Märchen und Kindern
Es war einmal eine Berliner Autorin, die hieß Lea Streisand. Sie hatte schon viele Bücher geschrieben, über Dorfkneipen, übers Fahrradfahren, über Straßenecken. Eines Märztages erschien ihr jüngstes Buch, ein Roman wie ein Märchen. Und das handelte von einem Wunsch: »Hätt’ ich ein Kind«.
Bei Schneewittchen sitzt die Königin, die diesen Wunsch äußert, nähend am Fenster und sticht sich aus Versehen in den Finger. In Streisands Buch Hätt’ ich ein Kind sitzen Kathi und ihr Freund in einer Praxis für Fertilitätsmedizin und müssen einen Satz vernehmen, den wohl niemand gern hört: »Sie werden keine Kinder bekommen.« Pause und Rauschen. Doch dann fasst das Paar den Entschluss, der das Leben verändert. Kathi und David wollen ein Kind adoptieren. Ein Satz, den auszusprechen vielleicht nur wenige Sekunden dauert, dessen letztendliche Erfüllung jedoch eine lange, sehr lange Zeit in Anspruch nimmt. Angefangen von allem Bürokratischen über die permanent im Raum stehende Frage: Warum will man eigentlich Kinder?
Und als ob alles nicht schon kompliziert genug wäre, wird Kathis beste Freundin Effi auch noch schwanger. Es folgen viele Ratschläge, außerdem wäre da noch Kathis Dissertation, die so vor sich hindümpelt, und die Frage, was eine gute Mutter ausmacht. Alles nicht einfach.
Aber Lea Streisand schreibt glücklicherweise, wie sie immer schreibt: ohne Schnörkel, direkt und mit viel Humor für die Figuren, auch dann, wenn denen nicht zum Lachen zumute ist. Es muss ja immer weitergehen, und am Ende wird im Märchen meistens vieles gut. Oder vielleicht sogar alles? Katrin Richter
Lea Streisand: »Hätt’ ich ein Kind«. Ullstein, Berlin 2022, 224 S., 19,90 €
Solange es Menschen wie Atticus gibt
Als ich 18 war, schenkte mir ein Schatz, den ich damals hatte, ein Buch. Verliebt, wie ich war, las ich es sofort. Und dann gleich noch einmal. Ich war bewegt, berührt, berauscht. Wer die Nachtigall stört von Harper Lee wurde – und ist es bis heute – mein absolutes Lieblingsbuch.
Ich dachte mir, dass mein Liebster wohl sein möge wie Atticus Finch, wenn er diese Geschichte mag. Atticus, der wundervolle Vater und idealistische Anwalt, der in den 60er-Jahren im tiefen Süden der USA einen jungen schwarzen Mann vor Gericht verteidigt, der angeblich eine weiße Frau vergewaltigt haben soll. Ein wahrer Held.
Heute gilt To Kill a Mockingbird von 1960 als Klassiker und Meisterwerk der amerikanischen Literatur. Zu Recht, denn die Geschichte ist, durch die Augen eines Kindes erzählt, dramatisch und voller Wärme auf jeder einzelnen Seite. Außerdem ist sie immer noch aktuell in der Zeit von Black-Lives-Matter und dem ständig wachsenden Hass gegen andere. Ausgerechnet dieses Buch, das auf so eindringliche Weise Rassismus anprangert, wollen Kritiker in den USA heute auf die Schwarze Liste setzen, weil es das »N-Wort« enthält. Damit dürfte es nicht mehr an Schulen gelesen werden, was die Debatte ad absurdum führt.
Mich begleitet das Buch bis heute, für das Harper Lee übrigens ein Jahr nach Erscheinen den Pulitzer-Preis bekam. Manchmal, bei besonders starkem Weltschmerz, hole ich es heraus und lese nur ein paar Seiten noch einmal. Damit ich erinnert werde, dass es ein Gewissen gibt – und das Gute in der Welt. Und dass nicht alles verloren sein kann, wenn Menschen wie Atticus unter uns sind.
Für mich war es immer eine Liebesgeschichte. Vielleicht, weil ich mich zwischen den Zeilen in Atticus verguckt hatte. Oder weil es eine liebevolle Hommage an die Menschheit ist. Als wahrer Held hat sich mein damaliger Schatz nicht herausgestellt. Aber ich habe ihm vergeben. Immerhin hat er mir ein wundervolles Geschenk gemacht: dieses Buch.
Sabine Brandes
Harper Lee: »Wer die Nachtigall stört«. Rowohlt, Hamburg 2015, 464 S., 20 €
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