Auf dem roten Teppich in Potsdam präsentierten sich auch in diesem Jahr zahlreiche Gäste und Ehrengäste: Das Jüdische Filmfest Berlin-Brandenburg (JFBB) wurde am Dienstagabend mit einer festlichen Gala im Hans Otto Theater eröffnet – in Zeiten, die auch für das Kino nicht einfach sind. Erneut steigen die Corona-Infektionszahlen, mitten in Europa tobt ein Krieg, und Israel ist wieder einmal in einer politischen Krise. Doch welche Filmtradition könnte erfolgreich durch unsichere Zeiten führen, wenn nicht die jüdische? »Sie sehen der Geschichte ins Auge, ohne sie zu mystifizieren«, schreibt das Team des Jüdischen Filmfestivals. »Jüdische Filme vermeiden es aus gutem Grund, ›richtige‹ Antworten zu geben.«
Auf simple Lösungen für komplexe Probleme dürfen die Besucherinnen und Besucher in den kommenden Tagen (das Festival dauert bis Sonntag, den 19. Juni) also nicht hoffen. Dafür auf gutes Kino. Für den Eröffnungsabend der 28. Auflage des Festivals in Potsdam wurde ein ganz besonderer Film ausgesucht: Eine Frau von Regisseurin Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, Grande Dame des deutschen Films und an diesem Tag auch Geburtstagskind.
EDELSTEin Den Blumenstrauß zum Ehrentag überreichte ihr das Kuratoriumsmitglied des Festivals, Matthias Platzeck. Der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident und regelmäßige Besucher des JFBB betonte, wie bedeutend und wichtig das Jüdische Filmfestival als kulturelle Veranstaltung sei. Es zeige, »wie verwoben jüdisches Leben auf der Welt ist«, sagte Platzeck in seinem Grußwort. Sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten und Schirmherr des JFBB, Dietmar Woidke (SPD), nannte das Filmfest einen »Edelstein in der Brandenburger Kulturlandschaft« und erinnerte an die Pflicht, jüdisches Leben zu schützen und weiterzuentwickeln.
Das Festival zeige, »wie verwoben jüdisches Leben auf der Welt ist«, sagte Matthias Platzeck, Kuratoriumsmitglied des JFBB
Die Grüße der zweiten Schirmherrin des Festivals, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, richtete ihr Senatskanzlei-Chef Severin Fischer aus. Er erinnerte außerdem an Nicola Galliner, die 1995 das JFBB gegründet hatte und der es damit gelungen sei, jüdische Filmkunst wieder nach Berlin und Brandenburg zu holen. Das JFBB zeichne insbesondere sein Mut aus, »sich aktuellen Debatten zu stellen«, meinte Mike Schubert (SPD), der Potsdamer Oberbürgermeister. Damit leiste es »einen wichtigen Beitrag gegen Antisemitismus und für den interkulturellen Dialog«. Schubert freute sich auf »vielfältiges, mutiges und anregendes Programm«.
Kurz bevor das Licht ausging und der erste Film des sechstägigen Fests beginnen sollte, versuchte die Journalistin Shelly Kupferberg, die den Eröffnungsabend moderierte, der Regisseurin noch ein paar Worte zu ihrem Werk zu entlocken. Viel gab Jeanine Meerapfel jedoch nicht preis. Es gehe in Eine Frau darum, »wie wir uns mit Geschichte auseinandersetzen und Erinnerung konstruieren«. Den Rest müsse der Film zeigen.
Spuren In ihrer Dokumentation macht sich Meerapfel auf Spurensuche nach ihrer Mutter Marie Louise, die in ärmlichen Verhältnissen ohne ihre Eltern im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts aufwuchs. Meerapfel besucht die Länder und Orte, in denen ihre Mutter gelebt hatte: Deutschland, wohin sie ihrem jüdischen Ehemann Karl gefolgt war, die Niederlande, die ihnen kurzzeitig Zuflucht vor den Nazis gewährte, und Argentinien, wo sie schließlich vor Hitler sicher waren. Eine Frau gibt dem Zuschauer wenig Gewissheit, vermittelt dafür aber umso mehr Sensibilität für die Vagheit von Erinnerungen und die Unsicherheiten in der Rekonstruktion von Biografien. Es ist ein Film der Zeichen, Spuren und Abwesenheiten. »Was wir nicht sehen, ist auch Teil dieser Geschichte«, heißt es an einer Stelle.
43 Spiel- und Dokumentarfilme und zwei Serien über jüdische Geschichte, Gegenwart und Zukunft werden in Kinos der Region zu sehen sein
Wer mehr sehen will von Jeanine Meerapfel, wird beim JFBB auf seine Kosten kommen: In einer Hommage werden eine ganze Reihe ihrer früheren Werke wie Malou gezeigt. Daneben werden beim Filmfestival unter dem Motto »Jewcy Movies« noch bis Sonntag zahlreiche weitere Spielfilme und Dokumentationen laufen, die alle auf eigene Weise Aspekte jüdischen Lebens beleuchten.
Region 43 Spiel- und Dokumentarfilme und zwei Serien über jüdische Geschichte, Gegenwart und Zukunft werden in Kinos der Region zu sehen sein – und auch auf dem jüdischen Theaterschiff MS Goldberg in Spandau. Weitere Spielstätten sind das Jüdische Museum Berlin, die Neue Synagoge Berlin, das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) und der Kutschstallhof Potsdam.
Kurz vor Beginn gab es noch eine gute Nachricht: Das JFBB wird künftig vom Bund gefördert. Das erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Dienstag. Ab 2023 solle das Filmfest bis zu 120.000 Euro direkt aus dem Kulturetat des Bundes erhalten. Bisher würden Bundesmittel über den Hauptstadtkulturfonds zur Verfügung gestellt. Das Filmfest beleuchte »in hervorragender Weise die Vielfalt jüdischer Tradition in Geschichte, Gegenwart und Zukunft«, betonte Roth: »Damit stärkt es in wichtiger Weise das jüdische Leben in Deutschland als ebenso wertvollen wie selbstverständlichen Teil unseres kulturellen Reichtums.«