»Die Welt hasst jenen Juden, der zurückschlägt. Die Welt liebt uns nur, wenn wir zu bemitleiden sind«, sagte Golda Meir, die ehemalige Premierministerin Israels, einst. Es sind Worte, denen bis heute eine Wahrheit innewohnt. Denn Jüdinnen und Juden wird in der Geschichtsschreibung noch immer eine meist passive Rolle zugeschrieben. Sie sind entweder Opfer oder Befreite.
Unter anderem mit dieser Frage beschäftigte sich die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden vor Kurzem in der Tagung »Jüdischer Widerstand – 80 Jahre Warschauer Ghettoaufstand« in Berlin.
Kanon Zentralratspräsident Josef Schuster betonte in seinem Grußwort zum Auftakt, dass jüdische Geschichte »eine Geschichte des Mutes, des unbändigen Überlebenswillens und des Glaubens an sich selbst« sei. Dafür stehe auch der Warschauer Ghettoaufstand. Schuster fordert daher, dass das Gedenken an ihn »fest im Kanon der deutsch-polnischen Geschichte sowie der Geschichte des Zweiten Weltkrieges« verankert werde.
Doron Kiesel, der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung, hielt fest: »Wir gedenken des Aufstandes, weil er an einen Impuls erinnert, an die Entscheidung, nicht aufzugeben.« Im Rahmen der Tagung sollte aber nicht nur des Warschauer Aufstandes gedacht werden, es ging darin auch um neue Perspektiven auf jüdische Widerständigkeit im Allgemeinen.
»Wir gedenken des Aufstandes, weil er an einen Impuls erinnert, an die Entscheidung, nicht aufzugeben.«
Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung
Den Einstieg machte Markus Roth, der einen umfassenden geschichtlichen Abriss des Aufstandes lieferte. Der Historiker trug vor, wie kontrovers das Thema Widerstand während der Schoa innerhalb der jüdischen Gemeinschaft diskutiert wurde. Es gab nämlich auch jene, die ihn strikt ablehnten, oft in der Hoffnung, auf diese Weise eine Eskalation der Gewalt verhindern zu können. Dabei zeigte die Geschichte letztlich sehr deutlich, dass das Ziel der Nationalsozialisten – die Ermordung aller Juden – durch nichts zu deeskalieren war.
Andrea Löw vom Institut für Zeitgeschichte München klärte darüber auf, was jüdischer Widerstand überhaupt bedeutet, und plädierte gleichzeitig dafür, den Begriff auf jüdische Selbstbehauptung auszuweiten. Denn eine enge Widerstandsdefinition führe dazu, dass jene diskreditiert werden, die nicht mit Waffen kämpften, so die Historikerin.
Perspektiven Weitere Perspektiven bot unter anderem die Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg. In ihrem Vortrag ging es um die wenigen Filmaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto, die von den Nazis einst zu Propagandazwecken aufgenommen worden waren. Wohl von Haselberg warnte vor einer Missinterpretation des Materials und legte offen, mit welchen Mitteln die Nazis diese Szenen zwanghaft inszenierten und was ihr Ziel war: den Anschein einer angeblichen, mangelnden Solidarität zwischen Juden zu erwecken, um das Elend im Ghetto als selbstverschuldet darzustellen.
Abschließend erörterten Ruben Gerczikow und Monty Ott, Autoren des neuen Buches »Wir lassen uns nicht unterkriegen«: Junge jüdische Politik in Deutschland, ob Persönlichkeiten, die diesen Widerstand leisteten, automatisch als Vorbilder gelten können oder sollten.
Dabei betrachteten sie Heroisierungen kritisch, vielmehr wollen sie das Verhalten der Aufständischen nachvollziehen, so Ott und Gerczikow, die die Tagung dann doch auf einer würdigen Note enden ließen, indem sie den Warschauer Widerstandskämpfer Mordechaj Anielewicz zitierten. Dieser schrieb in seinem letzten bekannten Brief: »Mein Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen. Ich durfte den jüdischen Widerstand erleben.«