Schon wieder ist der Name Elon Musk in aller Munde. Der Südafrikaner, schillernder und schwerreicher Mehrheitseigner beim E-Auto-Hersteller Tesla und beim Raketenunternehmen SpaceX, hat sich für 44 Milliarden Dollar das Unternehmen Twitter geschnappt – und damit nicht nur bei der Twitteria für ziemliche Aufregung gesorgt.
Die exorbitante Kaufsumme kann der 50-Jährige, dem auf Twitter über 90 Millionen Menschen folgen, zwar nicht aus der Portokasse zahlen. Aber Musks Gesamtvermögen, das überwiegend in Tesla-Aktien gebunden ist, beläuft sich auf rund 260 Milliarden Dollar. Aktuell ist er damit der reichste Mann der Welt. Das könnte ihn auch vergessen lassen, dass viele Beobachter bei Twitter deutlich weniger Potenzial für Profite durch Werbung sehen als beispielsweise bei Mark Zuckerbergs sozialem Netzwerk Facebook.
NUTZERZAHLEN Allerdings gilt der Kurznachrichtendienst Twitter bei vielen als eine fast schon systemrelevante Meinungsplattform im Internet. 217 Millionen aktive Nutzer waren dort im letzten Quartal aktiv, ein Drittel davon in den USA, mit weitem Abstand gefolgt von Indien und Japan.
Die Konferenz europäischer Rabbiner (CER) gratulierte Musk zwar zur Übernahme. Doch CER-Präsident Pinchas Goldschmidt betonte, das Engagement Musks müsse auch einschließen, dass Hassbotschaften, Extremismus und Antisemitismus entschlossen bekämpft würden. Viel zu oft fänden sich solche Inhalte immer noch auf Twitter. Es brauche jetzt einen »klaren Bruch mit der Vergangenheit«, so Goldschmidt.
Rabbiner Goldschmidt forderte Elon Musk zur Annahme der Antisemitismus-Arbeitsdefinition der IHRA auf.
Der orthodoxe Oberrabbiner von Moskau forderte Musk zur Annahme der Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) auf. Schließlich werde diese »von Regierungen und Polizeibehörden in aller Welt« angewendet.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton warnte, Musk müsse sich den europäischen Spielregeln »vollständig« unterwerfen. Die wichtigsten EU-Institutionen hatten sich Ende April auf den sogenannten Digital Services Act verständigt, ein Bündel von Maßnahmen, das zum Ziel hat, große Internetkonzerne und soziale Netzwerke stärker zu regulieren.
Ob Musk sich von solchen Argumenten überzeugen lässt, erscheint fraglich. Er kündigte nämlich nicht nur an: »Let’s make Twitter maximum fun«, sondern gab auch gleich eine Marschrichtung vor, die manchen nicht geheuer erschien – mehr Redefreiheit. Er sei ein »Free Speech-Absolutist«.
DONALD TRUMP Das wiederum entzückte rechte und libertäre Kreise in den USA, wo es die Tweets des früheren Präsidenten Donald Trump waren, die bis zu seiner Sperre Anfang 2021 für Furore gesorgt hatten. Ob Elon Musk Trump zurückkehren lässt, ist noch unklar. Aber das Stirnrunzeln bei eher liberal gesinnten Amerikanern war trotzdem groß.
Musk – immer für eine Provokation gut – ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen zu sticheln. »Die extreme Antikörperreaktion (sic!) derjenigen, welche die Meinungsfreiheit fürchten, sagt alles«, twitterte er. Um dann aber kurze Zeit später nachzuschieben: »Unter ›freier Meinungsäußerung‹ verstehe ich einfach das, was dem Gesetz entspricht.« Wenn Inhalte auf Twitter nicht gegen das Gesetz verstießen, dürften sie auch nicht zensiert werden.
Der Journalist Ludwig Siegele, leitender Wirtschaftsredakteur des Londoner »Economist«, lernte Musk Mitte der 2000er-Jahre im Silicon Valley persönlich kennen. Siegele ist überzeugt, dass der Unternehmer ein dezidiert libertäres Verständnis von Meinungsfreiheit verfolgt. »Je weniger Regulierung, desto besser, je weniger Moderation, desto besser« sei das Motto. Stringent sei Musk aber nicht, glaubt Siegele.
verständnis »Das geht alles ein bisschen durcheinander. Man muss ihm aber zugutehalten, dass er lernfähig ist.« Es sei zwar bedenklich, dass ein Twitter-User die führende Meinungsmaschine der Welt kontrollieren werde. Womöglich habe Musk aber genügend Verständnis, um die Probleme des sozialen Netzwerks zu lösen, so Siegele in einem Podcast der Wochenzeitung »Die Zeit«.
Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume ist da etwas skeptischer. Der Jüdischen Allgemeinen sagte Blume, der auch Medienethik am Karlsruher Institut für Technologie lehrt und auf Twitter sehr aktiv ist: »Das Problem mit dem libertären Verständnis von Meinungsfreiheit ist, dass es den Lauten, den Rohen, den Radikalen das Wort erteilt. Ohne Regeln gehen vernünftige Stimmen unter und ziehen sich zurück.«
Zudem sei das Problem mit Elon Musk nicht nur, dass er selbst schräge Tweets teile, zum Beispiel – wie im Februar geschehen –, als er auf die Gleichsetzung von Adolf Hitler und Kanadas Premier Justin Trudeau anspielte und Hitler den Satz in den Mund legte: »Hört auf, mich mit Justin Trudeau zu vergleichen«.
TROLLE Blume – selbst seit Jahren Zielscheibe von Trollen auf Twitter – findet auch, dass Musk andere ermutigt, »noch weiter zu gehen«. Der Kauf von Twitter durch den Südafrikaner sei daher »für den Kampf gegen Antisemitismus und Verschwörungsmythen ein Rückschlag«, findet der Baden-Württemberger.
»Ohne Regeln gehen vernünftige Stimmen unter oder ziehen sich zurück.«
michael blume, antisemitismusbeauftragter von baden-württemberg
Ähnlich skeptisch zeigte sich Jonathan Greenblatt, Chef der Anti-Defamation League (ADL) in den USA. Musks Pläne könnten auch zu mehr Antisemitismus auf Twitter führen, glaubt er.
KOMMUNIKATIONSKULTUR Und Laura Cazés, Leiterin der Abteilung Kommunikation und Digitalisierung bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), gibt zu bedenken, die Kommunikationskultur auf Twitter habe »zum Guten wie zum Schlechten viele öffentlichkeitswirksame Phänomene des 21. Jahrhunderts befähigt«. Musks Vorhaben würden »letztlich auch daran gemessen, wie sich diese Phänomene weiterentwickeln«.
Ob ein einzelner Mensch überhaupt dazu in der Lage sein sollte, eine der weltweit meistgenutzten Kommunikationsplattformen zu besitzen, die einzig und allein auf User-generated Content basiert, sei eine heikle politische Frage, findet Cazés.
»Schaut man auf den Meta-Konzern und seinen Inhaber Mark Zuckerberg, brachten die Enthüllungen durch Whistleblower wie Frances Haugen zutage, dass die Interessen (mit Wachstum als Hauptinteresse) des Unternehmens über die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gestellt werden«, sagt sie.
Andere Twitter-User wiederum frotzelten, es sei doch gar nicht nötig, 44 Milliarden für Twitter auszugeben, wenn man sich die App doch kostenlos auf das Smartphone herunterladen könne.