Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein. Dr. P. kann davon ein Lied singen. Als leitender Redakteur von Deutschlands auflagenstärkster Qualitätszeitung muss er täglich Wichtiges von Unwichtigem trennen, Nachrichten von Hintergründen. »Vor dem Hintergrund des Föderalismus ist es schon eine Herausforderung, eine Zeitung zu machen, die in ganz Deutschland verstanden wird«, sagt er.
lyrik Was verbindet die Menschen zwischen Kiel und Coburg? Nicht viel – außer vielleicht die Ansicht eines großen Teils der Bevölkerung, dass der Einfluss der Juden auf die Medien zu groß sei. »Von diesem Verdacht wollen wir uns freimachen. Wir müssen stets auf unsere Unabhängigkeit achten«, betont P.
Literatur, Kunst und, ja, auch Humor können Mittel sein, eine solche Distanz deutlich zu signalisieren. So hat der beliebte Scherz- und Schmunzellyriker Günter Grass in der Süddeutschen seine geistige Heimat gefunden. Wann immer ihm wieder etwas letzte Tinte vom Füller tropft, die Süddeutsche ist zur Stelle, die Sauerei aufzuwischen. Zuletzt reüssierte Grass mit einer israelkritischen Büttenrede, die er zuvor als Festbeitrag seinem Verein »SS-Männer für den Weltfrieden« gewidmet hatte.
Solche prominenten Gastbeiträge sind leider selten: Die Redaktion glaubt nicht, dass von Grass noch Stellungnahmen zur Bedrohung ebendieses Friedens etwa durch Nordkorea oder Syrien zu erwarten sind. Denn um den Weltfrieden geht es ja nur, wenn Israel beteiligt ist, weiß Redakteurin A., zuständig für die Rubrik »Das politische Buch«: »Immerhin wird von dort aus die Welt ja kontrolliert. Das sagt zumindest mein Bruder, und der muss es ja wissen.«
bilder Aber der schönste Text nützt nichts, wenn er nicht auch knackig illustriert ist, plakativ, emotional und allgemein verständlich. So illustrierte die mehrfach preisgekrönte Bildredaktion einen Artikel über israelische Waffenimporte mit einem gefräßigen Monster und einen Bericht über das Mainzer Bahnhofschaos mit dem Foto einer Bahnstrecke vor Auschwitz-Birkenau. Ein drastisches Bild, gibt P. zu.
»Aber nur so lässt sich die Angst der Mainzer vorm Gang zum Bahnhof wirklich erfahrbar machen.« Für die kommende Wochenendausgabe ist die Bebilderung schon festgelegt. Den Artikel aus dem Wirtschaftsressort »Schmerzhafte Einschnitte in Griechenland« soll eine Szene aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig zieren: Der Wucherer Shylock schneidet dem christlichen Kaufmann Antonio ein Pfund Fleisch aus dem Leib. Auch bei der Innenpolitik gibt sich das Layout verspielt: Die Nachricht »Union will weiter über Fracking diskutieren« wird illustriert mit einem kleinen bärtigen Männlein, das nächtens einen Brunnen vergiftet.
»Guter Journalismus muss stets auch die Quellen einer Nachricht offenbaren«, sagt Feuilletonchef K. Erst letztes Jahr hatte er den deutschlandkritischen Schriftsteller Tuvia Tenenbom in einem Artikel als »der Jude Tenenbom« enttarnt; eine Enthüllung, die moderne technische Errungenschaften möglich gemacht haben. Stolz weist er auf ein summendes Analysegerät in der Ecke: »Wer Jude ist, bestimmen wir hier über das Zionometer. Teuer, aber uns ist es das wert.« Denn gerade, wenn es um Kritik an Deutschland gehe, habe die Leserschaft ein Recht darauf, zu erfahren, woher der Wind wehe, sagt der Journalist augenzwinkernd.
korrekturen Wichtigste Arbeitsstelle des Blattes ist aber die Dementi-Redaktion, die auch die beliebte Humorkolumne »Korrekturen« betreut. »Das ist sozusagen das Regenmäntelchen der Zeitung«, erläutert P.. »Wenn da draußen wieder ein Shitstorm tobt, schützt er uns vor den dicksten Brocken.« Hier muss jedoch das Layout noch modernisiert werden: Viele Leser finden das Druckfehlerteufelchen mit der krummen Nase mittlerweile antiquiert. »In vier Wochen fällt auch diese Bastion«, verspricht P. »Dann sehen wir dort Flenni, das weinende Krokodil.« Man sieht: Auch bei einem Edelblatt wie der Süddeutschen müssen sich Innovation und Tradition nicht ausschließen.
Der Autor ist Chefredakteur der Frankfurter Satirezeitschrift »Titanic«.