Manchmal steckt nicht nur der Teufel im Detail, sondern eben auch ein Fünkchen Wahrheit. So zum Beispiel in der offiziellen Werbebroschüre für den kleinen, aber feinen Ferienklub »Arous on the Sea« an der sudanesischen Küste aus den 80er-Jahren. »Adventure à la carte« erwarte die Gäste, im Angebot habe man da so einiges, zum Beispiel Wasserski, Windsurfen oder Taucherausflüge – alles inmitten unberührter Natur und völlig abseits vom Massentourismus.
Um Abenteuerliches ging es dort in der Tat. Denn »Arous on the Sea« war kein gewöhnlicher Badeort für die Freunde des gepflegten Wassersports, sondern eine Art Potemkinsches Dorf, das Agenten des israelischen Geheimdienstes eigens dort aufgebaut und mehrere Jahre lang betrieben hatten.
Drehbuchautor und Regisseur Gideon Raff kreierte schon »Hatufim« und »Homeland«.
Ihr Ziel: die Rettung äthiopischer Juden. Deren Situation war aufgrund von Hungersnöten und politischen Unruhen äußerst prekär geworden – allein nach der Machtübernahme in Addis Abeba durch den prosowjetischen Militärführer Mengistu Haile Mariam im Jahr 1977 waren über 2500 von ihnen ums Leben gekommen. Nun sollten sie mithilfe des Mossad via Sudan nach Israel in Sicherheit gebracht werden. Und genau diese klandestine Operation liefert den Stoff für den actiongeladenen Spielfilm The Red Sea Diving Resort, der am 31. Juli auf Netflix Premiere hatte.
BESETZUNG Das Drehbuch verfasst und in Szene gesetzt hat niemand Geringeres als Gideon Raff, der bereits die Vorlagen von TV-Hits wie Hatufim, Homeland und Tyrant geschrieben hatte. Und auch die Besetzung kann sich sehen lassen. Hauptdarsteller ist Chris Evans, bekannt unter anderem aus Captain America. Er spielt den israelischen Geheimagenten Ari Levinson, seine Kollegin ist die Schauspielerin Haley Bennett.
Und Michael Kenneth Williams, vor einigen Jahren in der Kultserie The Wire zu sehen, ist einer der Anführer der Beta Israel, wie die Juden Äthiopiens sich selbst nennen. Mit von der Partie ist auch Ben Kingsley als Mossadchef, was nicht ohne Ironie ist. Denn im vergangenen Jahr noch verkörperte der britische Weltstar den deutschen Judenmörder Adolf Eichmann in Operation Finale.
Beginn der »Operation Brüder«, so die interne Bezeichnung, war 1979. Als europäische Touristen getarnte Agenten des Mossad begannen, sich im Sudan – ein Land, das sich damals wie heute offiziell im Kriegszustand mit Israel befindet – für einen ursprünglich 1972 von Italienern erbauten und dann wieder verlassenen Badeort an der Küste zu interessieren.
Schweiz Über eine in der Schweiz registrierte Tarnfirma eröffnete man bald eine Art Feriendorf, das sich gezielt an Tauchsportler richtete und sich recht schnell zum Hotspot einer illustren Gästeschar entwickelte. Saudische Falkenjäger, sudanesische Diplomaten und britische Militärangehörige gingen in »Arous on the Sea« ein und aus. Um dem Ganzen den Anschein von Authentizität zu verleihen, brachten die Organisatoren Tauchexperten aus Israel in den Sudan, darunter Yola Reitman, eine EL-AL-Stewardess, die fließend Deutsch sprach.
Gedreht wurde der Film übrigens in Südafrika und Namibia.
Äthiopische Juden, die bereits zu Tausenden unter teils dramatischen Bedingungen in den Sudan geflohen und dem Hungertod nahe waren, wurden in Lastwagen aus Flüchtlingscamps herausgeschmuggelt und nahe »Arous on the Sea« mit Schlauchbooten auf israelische Schiffe gebracht. Später dann schaffte man es sogar, eine kleine Landebahn für israelische Hercules-Transportflugzeuge nahe dem Taucherparadies zu bauen, sodass insgesamt mehrere Tausend von ihnen nach Israel gebracht werden konnten – all das vor der Nase der zahlreichen Gäste, die nichts bemerken sollten.
GEHEIMHALTUNG Genau das ist der Rahmen der Handlung von The Red Sea Diving Resort. Dass das Ganze in jeder Hinsicht eine Herausforderung für alle Beteiligten war, vor allem das Problem der Geheimhaltung unter den Augen der sudanesischen Armee, die 1982 erstmals die Transporte entdeckte, sowie einer immer misstrauischer werdenden Regierung in Khartum, die durch Medienberichte 1985 von der Operation Wind bekommen hatte, davon vermittelt der Film einen guten Eindruck – entsprechend spannend ist die Handlung. Und was überraschen mag: »Arous on the Sea« warf als Taucherparadies damals sogar Gewinn ab, sodass sich die Rettungsoperation zum Teil selbst finanzierte.
Gedreht wurde der Film übrigens in Südafrika und Namibia. »Schon beim ersten Treffen, das ich mit Chris Evans hatte, zeigte sich, wie begeistert er von dem Projekt war«, berichtet Regisseur Raff. In der Rolle des Mossadagenten Ari Levinson sah er wohl manche Parallele zu seiner vorherigen Rolle als Captain America. »Er hat alles über die Operation gelesen und sogar eigene Recherchen betrieben, weshalb er sich mit Beteiligten aus der Zeit von früher unterhielt.«
Israel war das einzige Land, das damals wirklich etwas unternahm.
Auch Gideon Raff setzte sich mit den Akteuren von einst zusammen. »Ich sprach mit einigen Soldaten der Marineeinheiten sowie mit der Frau, die das Hotel geleitet hatte und somit die Idee für die Rolle der von Haley Bennett gespielten Agentin lieferte.«
Und er nahm Kontakt zu Vertretern der äthiopischen Community in Israel auf, die damals durch die »Operation Brüder« gerettet wurden. »Heute sind viele von ihnen 40 oder 50 Jahre alt, und als Kinder haben sie die Flucht hautnah miterlebt.« Bedauerlicherweise ist Kebede Bimro, einer der äthiopischen Protagonisten von damals, der zudem die Inspiration für die Rolle von Michael Kenneth Williams lieferte, kurz vor Beginn des Projekts verstorben.
KATASTROPHE Vorlage für den Film war das Buch Mossad Exodus aus dem Jahr 1997. Geschrieben hat es Gad Shimron, einer der israelischen Agenten, die in den 80er-Jahren in »Arous on the Sea« gearbeitet haben. »Es ist eine der Geschichten, die man kaum glauben mag«, erklärte er gegenüber »The Wrap«, einer Plattform für News aus der Unterhaltungsindustrie. »Es war das einzige Mal, dass Europäer Afrikaner von dem Kontinent holten, nicht um sie zu versklaven, sondern zu befreien.«
Wie ernst die Lage damals war, belegen die Zahlen. Mehr als 400.000 Menschen starben in Äthiopien allein aufgrund der Hungerkatastrophe. Prominente wie Michael Jackson und Lionel Richie initiierten im Jahr 1985 daher ihr Benefizkonzert für Afrika. »Einige sangen Lieder wie ›We are the World‹«, so Shimrons Kommentar dazu. »Aber Israel war das einzige Land, das damals wirklich etwas unternahm.«
»The Red Sea Diving Resort«. Regie: Gideon Raff. Mit Chris Evans, Michael Kenneth Williams, Haley Bennett und Ben Kingsley. 130 min., seit 31. Juli beim Streamingdienst Netflix