Wer das Alte Testament, sprich: die Hebräische Bibel, erfassen will, muss gut zu Fuß sein. Zumindest in München. Denn um von Noah zu Isaak zu gelangen, von Salomo zu Judith und Moses und von David zu einer illustrierten Ausgabe aus dem Jahr 1796, geschrieben in Jiddisch für Frauen, die kein Hebräisch lesen konnten, einem Machsor, der in Süddeutschland um 1460 herum auf dünnes Pergament niedergeschrieben und originell ausgemalt wurde, und der einzigen fast vollständig erhaltenen und ältesten Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich im Jahr 1342 entstand, braucht es Kondition. Die Alte Pinakothek und die Bayerische Staatsbibliothek haben sich zusammengetan und zeigen, sich ergänzend, das Alte Testament. In Bild und Wort.
Auslösender Anlass ist der 21. Kongress der »International Organization for the Study of the Old Testament« (IOSOT), der vom 4. bis 8. August in der Münchner Universität abgehalten wird. Das Gros der 550 angemeldeten Teilnehmer dieses alle drei Jahre veranstalteten Forschertreffens stammt aus Israel und den Vereinigten Staaten.
sammlung Den Bilder-Part hat naheliegenderweise das Bildermuseum älterer Kunst im Kunstareal an der Barer Straße übernommen. In zwei Sälen sind 37 Gemälde unterschiedlicher Formate, von recht klein bis wandfüllend, zu sehen. Sie entstammen zum Teil der eigenen großen Sammlung des 1836 gegründeten Hauses, andere wurden aus Bamberg entliehen oder stammen aus Museen in Augsburg, Aschaffenburg und Ottobeuren.
Hat man die Pinakothek durchs Klenzeportal im Osten betreten, geht es rechts, vorbei an einem Kopf der personifizierten Synagoge, der die Augen verbunden sind (Kloster Wessobrunn, um 1250/55), gleich in den ersten Saal mit Kunst des Spätmittelalters. Schräg gegenüber liegt der zweite, in dem Arbeiten des Barock und Frühklassizismus hängen.
Vertreten sind fast ausnahmslos hochklassige Werke: von Lucas Cranach d. Ä., dieser gleich mehrfach, mit Adam und Eva, Lot und seine Töchter und Opfer Abrahams, von Bernhard Strigel und Hans Burgkmair. Ausgewählt wurde auch das fantastische Architekturgemälde Albrecht Altdorfers Susanna im Bade (1526), in dem die Badeszene ganz an den Rand gerückt ist, und die erschreckende, ja grässliche Sintflut von Hans Baldung, genannt Grien, in dem dieser das Wort »Arche« ganz wörtlich nahm und kein Schiff malte, sondern eine riesige Truhe.
Angenehmerweise haben sich die Kuratoren Elisabeth Hipp und Martin Schawe für den zweiten Saal gegen eine akademisch strikte Hängung nach Ländern, Regionen und Schulen entschieden. So hängen nordholländische Arbeiten neben deutschen, französischen, italienischen. Kunst von Rubens (Susanna und die beiden Alten, 1636/38) neben einem Bild des 1628 in München verstorbenen Peter Candid und neben Simon Vouets eleganter Judith.
Claude Lorrains Hagar und Ismael in der Wüste von 1668, das der Franzose in Rom malte, wobei er der biblischen Wüste das Aussehen einer lieblichen mittelitalienischen Landschaft gab, neben Rembrandts dramatischer Opferung Isaaks, Caspar Netschers Bathseba erhält den Brief König Davids neben Salomo im Tempel von François de Nomé, auf dem der Tempel zum hochbarock entfesselten Architekturcapriccio wird.
All dies zeigt, was für ein eminenter Bilderfundus die Hebräische Bibel für Bilderzählungen war. Leicht merkwürdig bleibt dabei jedoch, dass das oft mehr als nur latent Antijüdische der beiden christlichen Religionen hier nicht einmal am Bildrand vorkommt. Auch nicht im langen weiterführenden Rundgang durch zwei Etagen der ständigen Sammlung.
talmud Hat man dann den Weg von dort zur Ludwigstraße bewältigt, so taucht man in der Schatzkammer der Staatsbibliothek von tropischen Außentemperaturen ein in wohl modulierte Kühlung. 31 herausragende buchkünstlerische und religiöse Exponate sind in diesem überschaubaren, schwarz ausgeschlagenen Raum zu sehen. Nein: zu bewundern. Hebraica haben eine lange Tradition in diesem Bücherhaus, gesammelt wurden sie von der Vorgängerinstitution, der königlichen Hofbibliothek, schon seit 1558.
Highlight ist der Babylonische Talmud, ein unbezahlbares Exemplar, ihm fehlen lediglich ganz wenige Seiten, erstmals seit Jahren ist er nun wieder öffentlich zu sehen. Daneben ein handgeschriebener Pentateuch aus dem 15. Jahrhundert, hebräische Bibelhandschriften aus dem Spätmittelalter, eine Rabbinerbibel von 1524/25 aus Venedig und eine Ausgabe des hebräischen Bibelkommentars von Rabbi Raschi, die 1233 nahe Würzburg in Unterfranken geschrieben und verziert wurde.
Das jüngste Exponat sorgte Anfang 2012 für Aufsehen. Da konnte eine Wissenschaftlerin Origenes von Alexandria, eine Handschrift aus dem 12. Jahrhundert mit griechischen Originalpredigten zu den Psalmen zuordnen. Dieses Manuskript mit im Original verschollenen Texten des voraugustinischen Kirchenmanns schlummerte in der Staatsbibliothek mehr als 400 Jahren unentdeckt vor sich hin. Ein schon wieder fast »alttestamentarisches« Zeitmaß.
»Das Alte Testament – Geschichten und Gestalten«. Alte Pinakothek München, bis 20. Oktober
www.pinakothek.de
»Das Alte Testament und sein Umfeld – vom Babylonischen Talmud zu Lassos Bußpsalmen«. Bayerische Staatsbibliothek München, bis 30. August.
www.bsb-muenchen.de