Essen

Mosche Dayan und die Tomaten

Nur 2600 Kalorien erhielt jeder Israeli am Tag. Das war 1949, nach dem Unabhängigkeitskrieg. Der Waffenstillstand und der – militärisch alles andere als erwartbare – Sieg Israels setzten große Hoffnungen frei: auf ein Israel, das sich nun in aller Ruhe zu einer wohlhabenden und friedlichen Gesellschaft im Einklang mit seinen Nachbarn entwickeln könne. Und auf einen jüdischen Staat, der stark genug wäre, sich souverän in einer feindlichen Umwelt zu behaupten. Israel wurde attraktiv für die in der Diaspora lebenden Juden. Um die vielen Menschen, die Alija machten, unterbringen und versorgen zu können, verteilte man Lebensmittelkarten, denn das Essen war stark rationiert.

kollektiv Dov Josef, der damalige Minister für Rationierung und Versorgung, rechtfertigte die knappen Gaben, die beispielsweise pro Kopf nur 540 Gramm Fleisch im Monat vorsahen: »Das war dreimal so viel Brot, zweimal so viel Milch, zehnmal so viel Zucker und viermal so viel Fleisch, wie in der UdSSR verteilt wurden«, bilanzierte der 1918 aus Kanada eingewanderte Politiker.

Das hebräische Wort »Tzena« bedeutet Strenge oder Sparsamkeit. Und genau so hieß das Rationierungsprogramm, das die Regierung aufgelegt hatte. »Tzena stand für das Gegenteil einer individuellen Entscheidung und führte in gewisser Weise zu einer Vereinheitlichung und Standardisierung des Konsums der Gesamtbevölkerung«, sagt Orit Rozin. Die Soziologin forscht seit vielen Jahren an der Universität Tel Aviv über das israelische Alltagsleben: »Tzena wurde auch zu einem Mittel, mit dem man kollektive Identität aufbauen konnte, eine Gesellschaft, in der die Starken Opfer bringen, damit es den schwächeren Mitgliedern des Kollektivs zugutekommt.«

experimente Der Aufbau des Landes schritt fort. Bereits 1960 wurden die provisorischen Zeltstädte abgebaut, und alle Israelis wohnten in festen Unterkünften. In dieser neuen Gesellschaft, die in neu gebauten Apartments lebte und an neuen Herden brutzelte, entstand auch kulinarisch Neues. Einerseits experimentierten die Familien viel mit Gemüse, Kräutern und Früchten – schon weil es wegen der knappen Fleischversorgung einer Art Ersatzes bedurfte. Andererseits setzte sich auch in Israel die Konserve durch. In Dosen abgefülltes Tomatenmark und -püree oder Hummus und Techina halfen mit, die traditionell eher fleischhaltige jüdische Küche zu revolutionieren.

Israel ist ein Wüstenstaat, aber nicht nur. Ein besonderer Reiz des Landes liegt auch darin, dass es neben großen Wüsten dichte Wälder, heiße Küsten und sogar ein Skigebiet im Norden am Berg Hermon bietet. Von subtropischem über mediterranes bis zu beinah westeuropäischem Klima lässt sich auf 470 Kilometern Länge und 135 Kilometern Breite (die schmalste Stelle beträgt 15 Kilometer) fast alles finden. Entsprechend ist das Angebot an Obst und Gemüse: Äpfel, Pflaumen und Kirschen haben die europäischen Einwanderer angebaut; die Juden, die aus Ländern des Nahen Ostens kamen, kümmerten sich mehr um Oliven, Datteln und Trauben.

Shaul Homsky schreibt in dem Buch Fruits Grown in Israel, dass es gerade die mangelnde Erfahrung vieler jüdischer Neubauern war, die für eine große Experimentierfreudigkeit sorgte und immer noch sorgt: »Die Bauern in den Kibbuzim waren bereit, neue Methoden zu akzeptieren, und experimentierten mit neuen Früchten und Gemüsesorten – anders als in einem Land wie Griechenland, in dem Generationen von Bauern die Erde auf die immer gleiche Art bearbeiteten und die Menschen immer die gleiche Art der Ernährung hatten.«

Desaster Doch Experimente können auch misslingen: 1961 war Moshe Dayan Landwirtschaftsminister. Der später im Sechstagekrieg weltberühmt gewordene General stammte aus dem Kibbuz Degania Alef, dem ersten, den es im Heiligen Land gegeben hatte. Daher glaubte er, genügend Kompetenz zu besitzen, um anzuweisen, dass die in Israel verbreitete ovale und fruchtige Tomatensorte Marymont durch eine neue, dickere, zylindrisch geformte und nicht ganz so fruchtige Romatomate ersetzt werden sollte.

Sie trug den etwas ungewöhnlichen Namen »Moneymaker«, denn man sagte ihr nach, schnell zu wachsen und sehr ertragreich zu sein. 5000 Tonnen Moneymaker-Tomaten wurden im ersten Jahr angebaut, die Hälfte sollte in den Export gehen, die andere Hälfte im Land verkauft werden. Die Bauern wurden von der Regierung ermuntert, nur noch Moneymaker anzubauen. Doch die Früchte verkauften sich nicht – weder in Israel noch auf dem Weltmarkt. Die israelische Presse schrieb gar von einem »Anschlag«, den Dayan auf die Landwirtschaft verübt hätte.

Aber Israel konnte auch Dayans Tomatendesaster verkraften. Das Land blühte, der starke Gewerkschaftsbund Histadrut sorgte für die Verteilung des erwirtschafteten Reichtums, und die gewonnenen Kriege – der Unabhängigkeitskrieg 1948/49, der Suezkrieg 1956 und der Sechstagekrieg 1967 – verschafften der israelischen Gesellschaft ein Gefühl der Stärke und Zufriedenheit. Das Land war nicht mehr von Entbehrung und Armut gekennzeichnet, sondern wurde hedonistisch, weltoffen und, wenn schon nicht reich, so zumindest wohlhabend.

Es war die Zeit, als Künstler wie Esther und Abi Ofarim oder Daliah Lavi eine Art israelischen Glamour in der Welt verbreiteten und Tel Aviv mit seinen Stränden zu einem Anziehungspunkt für die amerikanische und westeuropäische Jugend wurde. Und es war die Zeit, in der junge Köche wie Uri Guttman eine neue israelische Küche begründen wollten.

biblisch Guttman, der in Frankreich gelernt hatte, zog durch die Welt, vertrat Israel bei internationalen Kochwettbewerben und entwickelte neue Rezepte. Sein Credo war, dass man aus der vielfältigen israelischen Landwirtschaft alles nehmen könne, was eine gute Küche braucht. »Ich hatte den Traum, eine israelische Küche zu etablieren«, sagte er einmal. »Das ist schwer, wo doch die Juden aus so vielen Ländern kommen.« Guttman und seine Mitstreiter setzten darauf, eine Küche zu entwickeln, die biblisch inspiriert war: Honig, Feigen und Granatäpfel, die bereits in der Bibel erwähnt werden, wurden benutzt, dazu einheimische Produkte wie Kichererbsen, Kaktusfeigen, Avocados, Mangos, Zitrusgewächse oder Milcherzeugnisse. Sie alle waren in den voller werdenden Supermarktregalen erhältlich.

Auszug aus dem neu erschienenen Buch von Katrin Richter und Martin Krauss: »Israelisch Kochen«, Die Werkstatt, Göttingen 2012, 168 S., 16,90 €

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