München-Schwabing, dort, wo sich der Stadtteil weniger edel, dafür umso lebendiger gibt. Straßen, die sich unübersichtlich kreuzen, Supermärkte, ein Bäcker, eine Apotheke, ein Metzger, U-Bahn, Tram, alles um die Ecke. Neben dem Klingelknopf zwischen Klingelknöpfen findet man nicht den, den man sucht. Außer, man weiß Bescheid.
Ein Besuch bei Abi Ofarim. Dem Abi Ofarim. Die männliche Hälfte des israelischen Gesangsduos »Esther & Abi Ofarim«, das sich in den 60er-Jahren mit Songs wie Cinderella Rockefella oder Morning of my Life auf die ersten Plätze sämtlicher Charts sang mit Hits, die sich auch heute noch hören lassen können. Die beiden waren weltberühmt.
fit Abi Ofarim hat mit Erinnerungen an alte goldene Zeiten kein Problem, er lässt sie zu, ohne darin zu versinken. Er gibt Auskunft, in aller Ausführlichkeit und immer wieder, weil er weiß, was interessiert. Für das Publikum und die Journalisten beginnt Abis Leben mit »Esther & Abi Ofarim«. Aber eigentlich beginnt es mit einem Großvater aus Österreich, mit einem Vater, der früh verstarb, einer sehr geliebten Mutter, die es nicht immer leicht mit dem Jungen hatte. Es beginnt mit dem kleinen Abraham Reichstadt, geboren in Tel Aviv.
Ein helles Treppenhaus. Soundsovielter Stock. »Schalom!« Abi Ofarim trägt immer noch seine lange, blonde Mähne, sieht stets wild aus, schiebt gerne dicke Ringe über seine Finger, legt grobgliedrige Ketten ums Handgelenk, ein ewiger Rocker eben. Das sind Äußerlichkeiten, an denen er hängt und bei denen er bleibt, und das ist auch schon fast alles, was es zu diesen Äußerlichkeiten zu sagen gibt.
Fast. Denn Abi Ofarim wurde 1937 geboren (»Ich bin älter als mein Land«) und wird dieses Jahr 77 Jahre alt. »Er ist ein Phänomen«, sagt seine Lebenspartnerin und Managerin Kirsten Schmidt. »Ich bin ein ewiges Kind«, meint er selbst. Seine Hausärztin hat ihm vor ein paar Tagen am Telefon die Daten vom letzten Gesundheitscheck durchgegeben und kommentiert: »Die sind besser als meine, und ich bin Mitte 40.«
Abi Ofarim legt eine seiner letzten CDs ein, dreht den Ton so richtig auf. Es ist ein Lied, das er für seine Mutter geschrieben hat »und für alle Mütter dieser Welt«. Er singt mit. »Ima, ima!«, lässt sich reinziehen, »bekommt Gänsehaut«, was sicher auch mit Erinnerungen zu tun hat. Seine Stimme ist voll da, »besser denn je«, der Husten von vorhin mit einem Schlag verschwunden. Abi Ofarim schließt die Augen. Singt.
familie Esther und Abi eroberten die Welt. Besonders großen Erfolg hatten sie in Deutschland. Ausgerechnet. »Das war komisch«, sagt Ofarim. »Wir waren Nummer eins auf der Chartslist der BBC, überall konnte man uns hören, auch in Jordanien, im Libanon. Aber Israel hat uns nicht gespielt. Unser Erfolg in Deutschland passte manchen Leuten mit der Nummer auf dem Arm nicht. Und ich muss sagen, ich verstehe das.« Erst ein, zwei Jahre später lässt Israel ein wenig Annäherung zu.
»Wir haben an der Brücke Israel-Deutschland, Deutschland-Israel mitgebaut.« Nicht, dass das seine Hauptmotivation gewesen wäre: »Ich stelle mich nicht hin und sage, ach, wie toll ist Israel. Aber ich singe hebräische Lieder, die von Herz zu Herz gehen. Ich bin Künstler und kein Politiker.«
Heute besucht Abi Ofarim Israel drei- bis viermal im Jahr. »Israel ist meine Heimat und München mein Zuhause«, sagt er. In München lebt er jetzt schon lange, seine beiden Söhne, Gil und Tal, ebenfalls in der Musikbranche tätig und erfolgreich, sind hier geboren. Gil war mit 15, 16 ein richtiger Teenie-Star. 50 bis 100 Mädels belagerten jeden Tag das Haus. Diese weiblichen Fans »immer wieder zu beruhigen«, das wurde Abi Ofarim irgendwann zu viel, und man zog um.
»Die drei sind ganz eng«, sagt Kirsten Schmidt und schaut auf das wandgroße Foto hinter dem Sofa, das die beiden Söhne mit ihrem Vater zeigt. Cool, cooler, am coolsten. Und vor Kurzem kam noch ein Enkel dazu. »Levi Malachi Ofarim. Gibt es einen schöneren Namen?« Abi Ofarim spricht ihn nicht, er singt ihn. »Levi, das ist einer der zwölf Stämme.«
Und da wir gerade bei der Tora sind, kombiniert mit der Vorliebe für sehr viel Haar (»Frauen mit langen Haaren haben bei mir die besseren Chancen«): Fühlt Abi sich vielleicht Schimschon verbunden? Vielleicht. Ja. Doch. »Wenn man älter wird, verliert man physische Kräfte und normalerweise auch Haare.« Abi Ofarims kleine Augen blitzen. »Ich werde im Oktober 77, und ich habe noch mein volles Haar. Das gibt mir ein Gefühl der Stärke.«
projekt Vor ein paar Jahren hat Abi Ofarim einer Zeitung vorgerechnet, dass er im Monat knapp 60 Euro Rente bekommt. »Das ist wenig.« Doch er ist davon nicht abhängig, kann durch Auftritte und CDs aufstocken. Aber die anderen? Die alten Menschen, die von ihrer Rente leben müssen? »Kinder von gestern« heißt Ofarims neues Projekt, das ihn die nächste CD und die nächste Tournee nach hinten schieben lässt, weil es ihm und Kirsten jetzt am wichtigsten ist.
Ziel: »Ein Jugendzentrum für Senioren«. Räumlichkeiten werden gefunden – »drei Autominuten von hier« – Spender, Sponsoren, Freiwillige, Ehrenamtliche. Er gibt ein Benefizkonzert. Kirsten Schmidt lacht: »Im katholischen Bayern singt ein Jude in einer evangelischen Kirche hebräische Lieder, begleitet von einem Gospelchor.«
Auf die Idee gebracht hatte Ofarim eine Szene in einer TV-Dokumentation: Ein Mann bringt seine alte Mutter in ein Altenheim nach Rumänien. Billiger sei es dort. Und dass die alte Frau sich da nicht verständlich machen könne, darin sehe er kein Problem, sagt der Mann, da sie ohnehin unter Demenz leide. Abi Ofarim saß vor dem Fernseher und konnte nicht glauben, was er da hörte und sah. Er wurde aktiv.
Mitte April ist der Treffpunkt für alte Menschen in der Schleißheimer Straße 53 offiziell eröffnet worden. Dort werden Lesungen stattfinden, Spielabende, Computerkurse, Beratungsstunden, Kaffeerunden, alles Mögliche, nur kein tristes Dahindämmern, nur keine Einsamkeit. »Eine kleine Rente, Angst, die Miete nicht mehr bezahlen zu können, Angst, die Würde zu verlieren, Vereinsamung – das haben diese Menschen nicht verdient,« sagt Ofarim, und dass er sich sehr wünscht, dass auch ältere Leute aus der Jüdischen Gemeinde kommen.
synagoge Zur Gemeinde am Jakobsplatz hat Abi Ofarim Kontakt. Als seine Jungs noch in die jüdische Schule gingen, war der Kontakt allerdings enger. »Da ist man einfach engagierter«, sagt er, und außerdem: »Für die Gemeinde muss man Zeit haben, und die fehlt mir.« Zu den Hohen Feiertagen geht er in die Synagoge. »Ich bin sehr gläubig, aber kein Religiöser.« Aus Religionen könne Fanatismus erwachsen, aus Fanatismus Krieg. »Ich bin kein Krieger.«
Seinen Militärdienst in Israel hat er in einer Theatergruppe absolviert, wo er Akkordeon spielte und die Soldaten damit »moralisch unterstützte«. Das war dann auch das Erste, was die britische Queen Elizabeth von ihm wissen wollte, als Esther und er einen Auftritt bei ihr hatten. »Sie beugte sich zu mir hinunter und fragte, ob ich beim israelischen Militär gewesen sei.«
Ein kleines Schwarz-Weiß-Foto hat diesen Moment festgehalten. Die Queen, Esther und Abi. Ganz vergehen werden die 60er-Jahre nie. »Das bin ich als Gott«, sagt Abi Ofarim und zeigt auf ein Foto im Wohnzimmer. »Da wurde der Jedermann bei den Salzach-Festspielen gegeben, und für mich hat man eine Gottrolle eingebaut.« Er lacht.
willen »Rock ’n’ Read« heißt eine Tour, mit der Abi Ofarim und Kirsten Schmidt seit Jahren in ganz Deutschland auftreten. Schmidt liest aus Abis Autobiografie Licht und Schatten, und Abi singt. Schatten, die gab es. Vor allem nach dem großen Erfolg und nach der Trennung von Esther.
Er stürzte ab, wie man so sagt, nahm Drogen – heute nennt er sie »unerlaubte Medikamente« –, kam für einen Monat in Untersuchungshaft. »Ich hatte Gelegenheit, einen Monat in der Pension Stadelheim zu verbringen.« Wie war das? »Die Hölle und die beste Schule.«
Seitdem trinkt Abi Ofarim keinen Alkohol mehr und hat »im Kopf etwas zurechtgerückt«. »Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch«, lautet heute sein Motto. Wie bei seinem Jugendzentrum für Senioren. Abi Ofarim hat noch viel vor.