Einen spektakuläreren Buchtitel kann man sich selbst im Jahre 2023 kaum vorstellen: Ich tötete einen Nazi. Hinter diesen vier einfachen Worten verbergen sich die Erinnerungen von David Frankfurter (1909–1982).
Frankfurter katapultiert sich und den Schweizer Bergkurort Davos, den Thomas Mann einst als »Zauberberg« in die Literatur eingeführt hatte, auf einen Schlag im Februar 1936 in die Schlagzeilen der Weltpresse: Er erschießt den Deutschen Wilhelm Gustloff, der sich ab 1933 als eine Art »Gauleiter Schweiz« ganz im Sinne der NS-Ideologie im neutralen Land betätigt hatte, ziemlich unbehelligt von der Schweizer Regierung.
STRAFPROZESS Das NS-Regime benutzt den Toten von Davos nach der Tat als Märtyrer, was sich insbesondere beim Strafprozess gegen Frankfurter im Bündner Hauptort Chur zeigt. Da zieht das Regime alle Register und beeindruckt offensichtlich auch die Schweizer Richter: David Frankfurter erhält für seine Tat 18 Jahre Zuchthaus, von denen er dann aber nur die Hälfte absitzen muss. 1945 wird er begnadigt und aus der Schweiz ausgewiesen. Als überzeugter Zionist zieht er nach Israel, gründet eine Familie und stirbt 1982.
Ich tötete einen Nazi ist mit einem Nachwort des Schriftstellers und Religionswissenschaftlers Schalom Ben-Chorin (1913–1999) erschienen, und das hat seinen Grund: Ben-Chorin zeichnete nämlich in den späten 40er-Jahren die Erinnerungen des im heutigen Kroatien geborenen Frankfurter auf, und so sind sie nun auch erschienen. Der Täter schildert darin, wie er dazu kam, mit seiner Tat weltweit ein Zeichen zu setzen.
Bereits als Schüler empört er sich, dass einer seiner Lehrer den Ausdruck »Judenschule« verwendet: Er erhält zuerst einen Tadel im Klassenbuch, kämpft gegen diesen an und siegt schließlich: »Ein Lehrerrat wurde einberufen, der Professor erhielt eine strenge Verwarnung, und mein Tadel wurde aus dem Klassenbuch getilgt.«
MEDIZINSTUDIUM Dieser Gerechtigkeitssinn begleitet ihn auch während seines Medizinstudiums in Deutschland zu Beginn der 30er-Jahre: Die Machtübernahme der Braunhemden zeichnet sich nicht zuletzt an den Universitäten des Landes schon deutlich ab, Frankfurter erkennt die Zeichen der Zeit, reist weiter in die Schweiz und setzt sein Studium in der Hauptstadt Bern fort. Noch in Deutschland, Hitler ist schon an der Macht, will er aber bereits handeln. An einer Versammlung in Frankfurt soll Hermann Göring reden. Frankfurter ist mit einer Pistole vor Ort, doch die Nazigröße ist bereits wieder weg. Frankfurter bleibt enttäuscht zurück.
In der Schweiz freut er sich einerseits, die »Luft eines freien Landes« zu atmen, wie er schreibt. Doch schnell wird er auf die Wühlarbeit deutscher und Schweizer Nazi-Vertreter aufmerksam – und damit auch auf Wilhelm Gustloff.
Hin- und hergerissen zwischen dem Verbot der Tora »Du sollst nicht töten« und dem Gebot: »Ausrotten sollst du das Böse aus deiner Mitte«, will er Anfang 1936 zur Tat schreiten und fährt nach Davos, wo dann die tödlichen Schüsse fallen. Frankfurter, eigentlich zum Selbstmord entschlossen, stellt sich anschließend der Polizei.
schauprozess Das Buch schildert auch die Haftzeit David Frankfurters, der sich mit antisemitischen oder zumindest hartherzigen Behörden auseinandersetzen und im Falle einer Besetzung der Schweiz auch damit rechnen muss, einem Schauprozess der Nationalsozialisten ausgesetzt zu sein.
Doch es kommt anders. Seine Tat gilt bis heute als eine sehr mutige, zu einem Zeitpunkt, als die Grausamkeit der NS-Ideologie vielen noch gar nicht bewusst war. So wird Ich tötete einen Nazi zu einer Art Vermächtnis eines Weitsichtigen.
David Frankfurter: »Ich tötete einen Nazi«. Marix, Wiesbaden 2022, 320 S., 22 €