Seine Bücher, so sagt er, schreibt er am liebsten in den Ferien. »Wenn andere auf eine Bergtour gehen, dann unternehme ich eine Reise durch meinen neuen Roman.«
In seinem Fall sollte man jedoch eher von einem Kurzurlaub sprechen. Denn der Schweizer Universitätsprofessor und Krimiautor Alfred Bodenheimer schreibt beeindruckend schnell. Nach nur einer Woche, verriet er jüngst in Frankfurt bei einer Lesung aus seinem aktuellen Buch Der Messias kommt nicht, habe er in der Regel bereits die Erstfassung zu einem seiner Krimis abgeschlossen. Was dann noch folge, seien lediglich Korrekturen und kleinere Überarbeitungen.
Am liebsten setzt er sich zum Schreiben übrigens an den heimischen Esstisch: »Ich kann sehr produktiv sein, wenn um mich herum alles durcheinanderwuselt.« Immerhin hat der 51-Jährige vier Kinder – und seit vier Monaten auch eine kleine Enkeltochter.
vorbilder Drei Kriminalromane hat der Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums und Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel bereits veröffentlicht. Dabei ist er selbst gar kein ausgemachter Krimileser. »Anfangs wusste ich gar nicht: Wie findet man eigentlich einen Mörder?«, erinnert er sich.
Doch seine Hauptfigur, die alle Fälle löst, hat eben auch nicht viel gemein mit klassischen Ermittlern wie Philip Marlowe, Sherlock Holmes oder Hercule Poirot. Denn Gabriel Klein ist weder Detektiv noch Kommissar, sondern Rabbiner. »Ein Rabbi ist für mich eine interessante Mischung aus vielem«, erläutert Bodenheimer, »er ist Seelsorger und Rechtsausleger, er erfährt viele Geheimnisse und kann mit Menschen sprechen wie kaum ein anderer.«
Außerdem sei ein Rabbiner in einer »bestimmten geistigen Welt zu Hause, und in dieser geht er Probleme an. Wenn er dann über einen Fall nachzudenken beginnt, gehen ihm bestimmte Analogien auf«, ist der Religionsgelehrte überzeugt.
Dass Bodenheimer seinen Gabriel Klein in der jüdischen Gemeinde von Zürich als Rabbiner beheimatet sein lässt, hat anfangs zu einigen Missverständnissen geführt, denn mancher glaubte, in seinen Büchern so etwas wie einen Schlüsselroman vorliegen zu haben. »Da wurden Listen angelegt, welche reale Person in welcher Romanfigur porträtiert sein könnte.« Doch um diese Form des Realitätsbezugs geht es Bodenheimer nicht. »Ich möchte doch niemanden in die Pfanne hauen«, beteuert er.
Konflikte Stattdessen ist es ihm wichtig, Missstände, bestimmte soziale Spannungen und Konflikte zu beschreiben, so wie er sie in der Realität beobachtet hat. Die Krimihandlung kann daher eher als eine fiktive Zuspitzung dieser Konflikte gelten, wie sie, Gott sei Dank, in Wirklichkeit nicht so häufig eintritt. »Ein Mord ist doch nichts anderes als das Resultat einer katastrophalen Entwicklung, die Kulmination eines menschlichen oder gesellschaftlichen Misslingens«, so Bodenheimer.
Warum seine Bücher immer im akademischen oder jüdischen Milieu spielen? Für Bodenheimer hat das einen ganz einfachen Grund: »Das sind die Welten, in denen ich mich am besten auskenne. Hier kann ich von etwas erzählen, was mir wichtig ist und was vielleicht auch für meine Leser neu und von Interesse sein kann.« Aufgewachsen in einem modern-orthodoxen Elternhaus in der Schweiz, ist Alfred Bodenheimer bereits seit seinem fünften Lebensjahr mit dem Studium von Tora und Talmud vertraut.
»Meine Eltern haben ihr Jüdischsein sehr glaubwürdig und authentisch vorgelebt, das hat mich für mein ganzes Leben geprägt«, erinnert er sich. So war es zum Beispiel sein eigener Wunsch, nach dem Abitur für ein Jahr an einer Jeschiwa sowohl in Israel als auch in New York zu studieren. Anschließend wählte er Geschichte und Deutsche Philologie als Studienfach und schrieb seine Doktorarbeit über die Emigration der Dichterin Else Lasker-Schüler nach Palästina.
Es folgten Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Israel und Luzern und die Habilitation an der Universität Genf. 2003 kehrte Bodenheimer als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte zurück an die Universität seiner Heimatstadt Basel, wo er, nach einem dreijährigen Intermezzo als Rektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, 2010 die Leitung des Zentrums für Jüdische Studien übernahm.
Judaistik Seine Professur ist an der Philosophisch-Historischen und der Theologischen Fakultät der Uni Basel angesiedelt, zu deren Dekan Bodenheimer 2010 für zwei Jahre ernannt wurde – »übrigens als erster Jude in Europa, der jemals dieses Amt in einer theologischen Fakultät bekleidet hat«, fügt er hinzu.
In Basel schätzt er die »normale Kollegialität« am Fachbereich, die auf der Überzeugung der Gleichwertigkeit der jüdischen und christlichen Religion fuße. Überhaupt würden in der Schweiz »Jüdische Studien als Fach wie jedes andere angesehen«. Daher gebe es auch »keine Schutzschicht und keine Samthandschuhe« für Juden und Judaisten, wie er es einst in Deutschland wahrgenommen hatte.
Als Zaungäste des Weltgeschehens, die von den großen Katastrophen der Geschichte bislang weitgehend verschont geblieben sind, fühlen sich die Schweizer auch nicht so sehr moralisch verpflichtet wie die Deutschen, jüdisches (Geistes-) Leben zu fördern, was sich für ein Orchideenfach wie die Jüdischen Studien mit seinen geringen Studentenzahlen existenzbedrohend auswirken kann. »Die Sensibilität ist hier geringer als in Deutschland«, weiß Bodenheimer. Doch hat ihn die Beschneidungsdebatte des Jahres 2012 gelehrt, wie schnell sich auch in der Schweiz das Klima ändern kann und »Juden von der ingroup zur outgroup« werden können.
Vielleicht ist auch das ein Thema für einen weiteren Kriminalroman? Man weiß es nicht. Nur dass Alfred Bodenheimer bereits den vierten Fall für Rabbiner Klein im Kopf mit sich herumträgt. Gut, dass es zum Jahresende wieder Ferien gibt. Dann, so verspricht es der Autor, wird er sich erneut an seinen Esstisch setzen und das Buch in wenigen Wochen fertigschreiben. Schließlich soll es bereits im Herbst 2017 veröffentlicht werden.