Was macht jemanden zum »stillen Helden«? Warum haben manche Deutsche verfolgten Juden im Dritten Reich geholfen, während die große Mehrheit das nicht getan hat? Aufschluss über diese Fragen geben die Biografien derjenigen, die sich ihre Menschlichkeit, auch unter Inkaufnahme persönlicher Risiken, bewahrt haben. Einer von ihnen ist Heinz Drossel, geboren 1916 in Berlin, im Jahr 2000 in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt, gestorben 2008 in Waldkirch.
Auf einem Heimaturlaub in Berlin 1942 sieht der Wehrmachtsoffizier Heinz Drossel auf der Jungfernbrücke eine junge Frau, die sich in den Kupfergraben stürzen will. Es ist eine gewisse Marianne Hirschfeld, eine Jüdin, die nicht mehr weiß, wie sie mit ihrem sechsjährigen Sohn in Berlin überleben soll. Drossel hält sie vom Selbstmord ab, nimmt sie mit zu Freunden. Die jungen Leute überlegen gemeinsam, wie man Marianne helfen könne, Heinz gibt ihr Geld für gefälschte Ausweisdokumente und bringt sie bei einem Onkel unter.
Marianne Hirschfeld überlebt durch die Hilfe der Freunde die sogenannte »Fabrikaktion«, mit der die Nazis Berlin »judenrein« machen wollten. Bei einem weiteren Heimaturlaub Anfang 1945 lernt Heinz Drossel die Familie Hass und Ernst Günter Fontheim kennen, Berliner Juden, die sich in einer Kleingartenkolonie verstecken. Drossel gibt ihnen den Schlüssel zu seiner Wohnung und eine Pistole zur Selbstverteidigung. Auch die Familie Hass und Ernst Fontheim überleben dank Drossels Hilfe. Sie emigrieren später in die USA, und Ernst Fontheim wurde Ernst Drossels engster Freund, der sich später auch für dessen Ehrung in Yad Vashem einsetzte.
Gespräche Katharina Stegelmann, Redakteurin beim Spiegel, kannte Heinz Drossel seit 2003. Sie hat unzählige Gespräche mit ihm, seinen Töchtern, Enkeln und Freunden geführt – vor allem mit Ernst Fontheim –, hat Wiedergutmachungsakten gelesen und in Archiven recherchiert. Herausgekommen ist eine sehr persönliche Doppelbiografie von Heinz Drossel und Marianne Hirschfeld, die einander nach dem Krieg wiederbegegnet sind und 1946 geheiratet haben.
Stegelmann berichtet auch von den Schwierigkeiten, die das deutsch-jüdische Ehepaar in der jungen Bundesrepublik hatte, von alten Nazis im Justizapparat – Drossel arbeitet als Richter – und gesellschaftlicher Isolation. Die bereits 1981 verstorbene Marianne Drossel hat Stegelmann nicht mehr kennengelernt. Daher bleibt ihr Porträt hier leider ein wenig skizzenhaft.
Das Buch ist außerordentlich gut und spannend geschrieben. Dennoch bleiben einige Fragen offen. Drossel war trotz allem Offizier der Wehrmacht. Wie war es möglich, in dieser Funktion nicht an Kriegsverbrechen teilzunehmen? Im Anhang äußert sich die Tochter von Drossel sehr kritisch über ihren Vater. Er sei zu Hause ein regelrechter Despot gewesen. Womöglich waren es gerade diese Widersprüchlichkeit und auch ein gewisser Starrsinn, die ihn, wenn es darauf ankam, das Richtige haben tun lassen.
Katharina Stegelmann: »Bleib immer ein Mensch. Heinz Drossel. Ein stiller Held 1916–2008«. Aufbau, Berlin 2013, 256 S., 19,90 €