Herr Bergmann, es gibt zahlreiche Krimis über Rabbiner – wie Harry Kemelmans Rabbi-David-Small-Reihe, angefangen mit »Am Freitag schlief der Rabbi lang« von 1966. Wie kamen Sie auf Rabbi Henry Silberbaum als Ermittler in Frankfurt?
Der Rabbi-Krimi ist natürlich nicht meine Erfindung. Es gab Harry Kemelman, es gibt Alfred Bodenheimer. Auch David Mamet hat über einen jüdischen Ermittler geschrieben, der im orthodoxen Milieu aufgewachsen ist und aufgrund der Arbeit an einem Fall zum Judentum zurückkehrt. Eine tolle Geschichte! Aber es gibt niemanden hier und heute. Mein Anliegen war, zu erklären, dass Juden normal und durchschnittlich sind, dass wir nicht alle Nobelpreisträger oder Milliardäre sind. Ich wollte, dass der normale nichtjüdische Leser sagt: Die sind ja wie ich, da kann ich mich wiederfinden.
Sie bedanken sich im Abspann bei Rabbiner Julian-Chaim Soussan, weil er Ihnen ein »Koscher-Zertifikat« ausgestellt hat. Was heißt das bei einem Krimi?
Ich wusste schon vorher, dass Rabbiner Soussan ein großer Krimi-Fan ist. Und ich wollte natürlich alles richtig machen, damit hinterher nicht alle frommen Juden und Rabbis sagen: Um Gottes willen! Rabbiner Soussan hat das Buch gelesen und sagte: »Das bin nicht ich, aber es ist großartig.«
Ihr Krimi spielt im jüdischen Seniorenstift in Frankfurt. Haben Sie auch Rabbiner Andrew Steiman, der mit jüdischen Senioren arbeitet, um Rat gefragt?
Nein, Andy habe ich nicht gefragt, und er wird wahrscheinlich brojges sein. Aber er wusste, dass ich einen Krimi schreibe, ich habe es ihm bei einem Vortrag im Budge-Heim erzählt. Ich habe übrigens auch nur einen Juristen und einen Arzt um Rat gefragt, sonst hätte mir bestimmt jeder etwas anderes erzählt.
Ihre Geschichte ist ziemlich spekulativ. Der Rabbiner hegt den Verdacht, dass die wohlhabende Frau Axelrath von ihrem Mann – er hat eine nichtjüdische Geliebte – ermordet wurde. Dafür spricht erst einmal nichts, und Indizien gibt es keine …
… außer einem zerbrochenen Teller. Aber es gibt ein Motto, das ich auch als Drehbuchautor beherzige: »Mach deinen Protagonisten das Leben nicht leicht!« Ich wollte auch, dass man merkt, dass der Rabbi ein Gefühlsmensch ist. Einer, der sagt, hier stinkt etwas. Im Gegensatz zu mir ist Rabbi Silberbaum viel misstrauischer und weniger gutgläubig. Aber das hängt natürlich auch mit seiner Ausbildung, mit seinem Studium zusammen, dass er Dinge hinterfragt.
Dann kommt Hauptkommissar Robert Berking ins Spiel: »ein typischer Nordhesse, misstrauisch, kritisch, lebensverneinend«. Ist das Lokalkolorit – der Nordhesse als klassischer Feind des Südhessen?
Ursprünglich spielte dieser Krimi in Berlin. Aber der Verlag meinte, in der Hauptstadt seien schon zu viele Ermittler unterwegs. Der Lektor fragte mich: »Was halten Sie von Frankfurt?« Ich habe gesagt: »Ich bin in Frankfurt aufgewachsen! Das ist ein Heimspiel für mich!« Ein paar Tage später bin ich nach Frankfurt gefahren und habe Fiszel Ajnwojner, Gabbai der Westend-Synagoge, getroffen. Und Salomon Korn, Dieter Graumann und Rabbiner Soussan. Die fanden das alle ganz toll und haben mir versprochen: »Wenn das Buch verfilmt wird, kannst du hier überall drehen!«
Man merkt dem Buch an, dass Sie Frankfurt kennen …
Es war aber gar nicht so einfach, das umzuschreiben, weil die Frankfurter Mentalität ganz anders ist als die Berliner. Und man kann auch nicht einfach den Ku’damm durch die Kaiserstraße ersetzen. Aber ich bin sehr glücklich über diesen Wechsel, jetzt gibt es endlich mal wieder einen Frankfurt-Krimi!
Rabbi Silberbaum hat es schwer mit seiner Gemeinde. Der Vorsitzende will keine Ermittlungen im Fall Axelrath, er sorgt sich um den guten Ruf. Dass der Rabbi auf Pferde wettet, empört ihn: »Unser Rabbiner als Zocker! Welche Schande. Wenn das der Zentralrat erfährt, sind wir erledigt.«
Das ist eine Hommage an meinen verstorbenen Freund Norbert Friedländer in Jerusalem, der ein bisschen so war wie meine Figur. Ein »Macher« im positiven Sinn.
Was hat Ihren Rabbi auf die Spur des Mörders gebracht – trotz der vielen Widerstände?
Genau deshalb ist er ans Ziel gekommen. Je mehr Hindernisse es gab, desto motivierter wurde er. Das Ganze ist übrigens als Krimireihe angelegt, und ich bin jetzt schon bei der Hälfte des zweiten Bandes angelangt.
Nicht fehlen darf das Klischee der jüdischen Mamme, die ihrem Sohn – dem Rabbi – ständig im Nacken sitzt.
Das ist meine Mutter, sie war das Vorbild. Sie sagte: »Iss, so viel du willst!« Und danach: »Hat dir noch keiner gesagt, dass du dick geworden bist?« Immer Zuckerbrot und Peitsche, das war typisch für sie.
Offenbar hat Ihnen das nicht geschadet.
Nein, es hat sogar dazu geführt, dass ich jetzt noch ein Buch mit 300 Seiten über meine Mutter schreiben konnte mit dem Titel »Mameleben«.
Ist Krimischreiben einfacher?
Ich finde Krimischreiben viel schwieriger. Denn jeder Leser ist ein Kommissar, und die Leser stellen Vergleiche mit anderen Kommissaren an. Man muss Genreregeln einhalten. Michelangelo Antonioni hat einmal sinngemäß gesagt: »Wenn man die Gesetze des Films begriffen hat, kann man sich leisten, über sie hinwegzuspringen.« Aber beim Krimi funktioniert das etwas anders. Mein erster Krimi heißt »Du sollst nicht morden«, und analog zu den Zehn Geboten sind neun weitere Krimis geplant.
Der missmutige Nordhesse taucht auch wieder als Kommissar auf?
Natürlich. Dieses Gespann Berking/Silberbaum wird immer vorkommen. Das ist so ein bisschen wie bei »Monk«, nur eben am Main. Der eine sagt: »Was Sie sich da einbilden, ist Quatsch.« Und der andere beißt sich an dem Fall fest wie ein Terrier! Im zweiten Buch gibt es übrigens eine Talkshow, die heißt »Kiwif« und wird von Andrea Kiewel moderiert. Da geht es um Antisemitismus, und der Rabbi sagt als ersten Satz: »Ich bin dagegen!«
Wie ist Ihr Zeitplan? Jedes Jahr ein Krimi?
Ich habe die Absicht, steinalt zu werden, und bis dahin möchte ich jedes Jahr einen Krimi herausbringen. Und dann habe ich ja noch meine Romane. Und ich habe zusammen mit meiner Frau drei Theaterstücke geschrieben.
Können wir uns demnächst auf den »jüdischen Tatort« freuen?
Alle meine Stoffe, auch die »Teilacher«-Romantrilogie, waren ursprünglich für den Film gedacht. Parallel habe ich natürlich auch beim »Rabbi«-Krimi versucht, Interesse zu wecken.
Mit dem Schriftsteller sprach Ayala Goldmann.
Michel Bergmann: »Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden«. Heyne, München 2021, 288 S., 11 €
Der Autor stellt sein Buch am Montag, 18. Oktober 2021, um 19 Uhr im Jüdischen Museum Frankfurt vor.