Die Geschichte klingt so kitschig, dass kein Hollywood-Produzent sich getraut hätte, sie zu erfinden. Aber wahr ist trotzdem, was der Regisseur Raymond Ley in seinem Dokudrama Eichmanns Ende erzählt, das das Erste am Sonntag, den 25. Juli, um 21.45 Uhr ausstrahlt. Dass der Mossad Adolf Eichmann, den Hauptorganisator der Schoa, 1960 in Buenos Aires gefangen nehmen konnte, hat mit einer Liebesgeschichte zu tun. Lothar Hermann, ein nach Argentinien emigrierter jüdischer Rechtsanwalt, der das KZ Dachau überlebt hatte, kam dem Holocaust-Organisator auf die Spur, weil sich seine Tochter Silvia in Eichmanns Sohn Klaus verliebt hatte. 1957 informierte Hermann den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der wieder- um Felix Shinnar, den damaligen Chef der Ständigen Vertretung Israels in Köln, auf Eichmanns Aufenthaltsort aufmerksam machte. Damit begann das Verhängnis für den Massenmörder, obwohl ihm noch einige unverdiente Jahre in Freiheit vergönnt waren, inklusive eines Jobs bei Mercedes- Benz Argentina.
liebelei Wie der israelische Geheimdienst Eichmann senior, der seit 1950, nach einem Intermezzo als Hühnerzüchter in Niedersachsen, unter dem Namen Ricardo Klement in Argentinien lebte, kidnappte und nach Tel Aviv schaffte – das ist weitgehend bekannt. Der amouröse Background, ohne den dieser Coup wohl nicht möglich gewesen wäre, dagegen kaum. Die Geschichte löste zwar zu Beginn der 70er-Jahre ein kurzes Medienecho aus, angemessen aufgearbeitet hat sie seither aber niemand. »Die Hermanns haben mehr verdient als diese Schlagzeilen von damals«, sagt die Hamburger Historikerin Bettina Stangneth, die die Fernsehproduktion als Fachberaterin unterstützte. Von ihr erscheint Anfang des kommenden Jahres das Buch Eichmann in Argentinien. Außerdem berät sie die Eichmann-Ausstellung, die die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Topographie des Terrors gemeinsam für 2011 planen.
Liebe, Verrat, Tod lautet der sloganartige Untertitel von Leys Dokudrama. Doch Befürchtungen, der Film über den Mann, der den Transport in die Vernichtungslager organisierte, werde melodramatisch angereichert, sind unbegründet. Die Beziehung zwischen Silvia Hermann und Klaus Eichmann wird eher zurückhaltend inszeniert. Dieser Handlungsstrang steht in einem angemessenen Verhältnis zu den Auftritten zahlreicher Zeitzeugen, die einen facettenreichen Blick auf den Themenkomplex ermöglichen, von einer engen Freundin der Familie Hermann in Buenos Aires bis zu älteren Bürgern in Lothar Hermanns deutschem Geburtsort, deren ungebrochener Antisemitismus offenkundig wird.
originalton Im Zentrum des Films, der demnächst auch beim israelischen Sender Channel 1 zu sehen sein wird, der Koproduzent des Projekts war, steht die Rekonstruktion eines Interviews, das Wilhelm Sassen, ein auch nach 1945 bekennender nationalsozialistischer Journalist aus den Niederlanden, in Buenos Aires mit Eichmann führte. Circa 800 Seiten davon befinden sich bereits seit den 1970er-Jahren im Bundesarchiv in Koblenz. Regisseur Ley gebührt das Verdienst, das dramaturgische Potenzial dieses Gesprächsmarathons erkannt zu haben. Die sich über rund 50 Sitzungen erstreckenden Dialoge fanden vor einem kleinen Publikum von Gesinnungsgenossen statt, darunter der Nazi-Verleger Eberhard Fritsch und Heinrich Himmlers einstiger Adjutant Ludolf von Alvesleben. »Es herrschte Tagungsatmosphäre, sogar Referate wurden verteilt«, sagt Bettina Stangneth. Herbert Knaup als Eichmann und Ulrich Tukur als Sassen verstehen es in dieser Passage, den fürchterlichen Bürokraten und den ähnlich abstoßenden Lebemann auf gruselige Weise zu verkörpern. Die Dialoge zwischen den beiden wurden geradezu puristisch umgesetzt. Jedes »aber«, jedes »äh« aus den Originaldokumenten sei in den Filmdialogen berücksichtigt worden, betont Patricia Schlesinger, die Kulturchefin des für den Film verantwortlichen NDR.
Reuelos Eichmann war zu den Interviews bereit gewesen, weil er von der Vorstellung besessen war, seine Rolle im Dritten Reich sei bis dahin nicht angemessen gewürdigt worden. Selbstkritik übte er auf die perfideste Weise, die denkbar ist: »Wir haben unsere Arbeit nicht richtig getan, da wäre mehr drin gewesen.« Wenn er 10,3 Millionen Juden getötet hätte, wäre sein Auftrag erfüllt gewesen. Solche Aussagen Eichmanns verstörten Sassen und die anderen alten Kameraden. Sie hatten geglaubt, ihr Gast würde ihre »Wahrheit« untermauern helfen, den Holocaust als »undeutsch« darzustellen und die Opferzahlen als weit überhöht.
Die Figur von Eichmanns Gesprächspartner Willem Sassen ist auch interessant mit Blick auf die bundesdeutsche Mediengeschichte: Der zeit seines Lebens überzeugte Nationalsozialist arbeitete für Henri Nannens Illustrierte Stern. Das Blatt ist im Vorfeld des Films in die Offensive gegangen und hat Ende Juni in einem »Eichmanns langer Schatten« getitelten Artikel offenbart, dass Sassen »haarsträubende« Texte für die Illustrierte verfasst habe. Unter dem Namen Willem S. von Elsloo stand er 1959 sogar eine Zeitlang als Südamerika-Korrespondent im Impressum.
Dass man in Hamburg nicht wusste, wes Geistes Kind der Herr Kollege war, ist auszuschließen. Stern-Gründer Henri Nannen und Sassen »müssen sich gekannt haben«, sagt Stangneth. Beide gehörten schließlich als Kriegsberichterstatter der SS-Standarte »Kurt Eggers« an. Am 4. Juli 1960, rund zwei Monate, nachdem der Mossad Eichmann nach Tel Aviv verfrachtet hatte, begann im Stern eine vierteilige Serie über Eichmann in Argentinien. Das dazugehörige Editorial des Chefredakteurs Nannen, sagt die Historikerin Stangneth, sei »dem damaligen Zeitgeist entsprechend antiisraelisch und latent antisemitisch« gewesen.
»Eichmanns Ende – Liebe, Verrat, Tod«
ARD, Sonntag, 25. Juli, 21.45 Uhr