Oren Poliakovs Leidensgeschichte ist kein Einzelfall. »Letzten Sommer hatte ich das Pech, mir eine Salmonelleninfektion einzufangen«, berichtet der 32-jährige Informatiker aus Petach Tikva. »Meine Freundin hatte zum Abendessen selbst gemachte Mayonnaise zubereitet.
Die Folgen waren heftige Bauchschmerzen, Übelkeit und schmerzhafter Durchfall.« Also ging er zum Arzt und bekam Antibiotika verschrieben. Doch damit war seine Leidensgeschichte keinesfalls beendet. »Weil die Medikamente meine Darmflora schwächten, meldete sich danach ein anderer recht unangenehmer Geselle: das Clostridium difficile – ein Bakterium, das mich ebenfalls an die Toilette fesselte.«
Denn Antibiotika können nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden. Deshalb killen sie im Darm schädliche Bakterien genauso wie nützliche. Und bei allzu häufigem Einsatz kommt ein weiteres Problem hinzu: Viele Keime entwickeln Resistenzen und lassen sich nicht mehr richtig mit Antibiotika behandeln. Für die Weltgesundheitsorganisation WHO gelten multiresistente Keime mittlerweile als eine der Gesundheitsgefahren überhaupt. Rund 700.000 Menschen sterben jedes Jahr an ihnen, 25.000 davon allein in Europa.
Weizmann-Institut Grund genug, über Alternativen zu klassischen Antibiotika nachzudenken. Genau das machen Eran Elinav und Rotem Sorek, zwei Wissenschaftler vom Weizmann-Institut in Rehovot und Experten auf dem Gebiet der Mikrobiomforschung. Sie haben sich der Entschlüsselung sogenannter mikrobiologischer Systeme, die sich auf unserer Haut, in den Körperöffnungen, aber vor allem im Darm eingerichtet haben, verschrieben.
Gemeint sind damit Bakterien, Archaeen, Pilze und Viren – Milliarden von Mikroorganismen, die in Symbiose in und auf ihren menschlichen oder tierischen Wirten leben und wichtige Funktionen wahrnehmen. Beispielsweise stärken sie das Immunsystem oder stellen essenzielle Nährstoffe bereit. »Erstaunliche Beispiele zeigen, dass das Ziel einer Mikrobe tatsächlich darin besteht, ein gemeinsames Überleben mit ihrem Wirt zu ermöglichen«, schrieb einmal der amerikanische Molekularbiologe Joshua Leder, ein Pionier auf dem Gebiet. Sie können sogar sein Immunsystem manipulieren, um dessen Widerstand gegen andere Parasiten zu erhöhen.
»Für uns sind sie jedenfalls eine Art Superorgan, das mit zahlreichen Körperfunktionen im Wechselspiel steht«, bringt es Eran Elinav auf den Punkt. »Das beschränkt sich nicht auf mögliche Einflüsse bei Beschwerden im Magen oder Darm. Wir glauben, dass auch Zusammenhänge mit anderen gesundheitlichen Problemen wie Diabetes, dermatologischen Krankheiten oder sogar Krebs existieren.« Zwecks Entwicklung entsprechender Medikamente haben die Forscher gemeinsam mit Timothy K. Lu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) 2015 das Start-up BiomX mit Sitz in Nes Ziona ins Leben gerufen.
Diagnose Mikrobiomforschung lautet also der neue Trend in der Medizin. Jeder von uns trägt über ein Kilo dieser Biomasse mit sich herum. Das entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Gewicht des menschlichen Gehirns. Auch dürfte die genetische Vielfalt der Bakterien die der Körperzellen bei Weitem übertreffen. Zu den ambitionierten Zielen der Wissenschaftler, die auf diesem relativ jungen Feld weltweit aktiv sind, gehört daher ebenfalls die Entwicklung von Mikrobiota-basierten Diagnoseverfahren, Therapieansätzen und Ernährungskonzepten. Schon heute zeigen auf den ersten Blick unkonventionell und vielleicht wenig appetitlich klingende Ansätze wie die Fäkaltransplantation ungeahnte Wirksamkeit bei akuten Durchfallerkrankungen.
BiomX will nun bald erste Medikamente aus der Mikrobiomforschung klinisch testen lassen. Sie sollen sich zur Bekämpfung von Akne und dem Stäbchenbakterium Helicobacter pylori eignen. Weitere zur Behandlung von Entzündungen des Dick- oder Grimmdarmes sowie von Morbus Crohn befinden sich in der Pipeline.
Ihre Besonderheit: Sie alle basieren auf sogenannten Bakteriophagen, kurz auch Phagen genannt. Dabei handelt es sich um verschiedene Viren, die Bakterien selektiv töten können. Isoliert und richtig eingesetzt, sind sie also in der Lage, Menschen von Infektionen zu befreien, ohne die von Antibiotika bekannten Nebenwirkungen auszulösen. Oder sie machen multiresistenten Keimen den Garaus. Kläranlagen funktionieren übrigens nach einem ähnlichen Prinzip.
Start-up »BiomX hat auf Basis dieser Bakteriophagen eine Art Plattform entwickelt, die im Wesentlichen aus zwei Elementen besteht«, skizziert Assaf Oron, Marketing-Geschäftsführer des Start-ups, die Art und Weise, wie die Medikamente funktionieren sollen. »Eines identifiziert die Bakterien, die entweder fehlen oder Schaden anrichten.
Das andere greift überflüssige Keime an. Und genau da kommen die Phagen ins Spiel.« Dass an den Erfolg dieser Konzepte geglaubt wird, belegt die Tatsache, dass von Anfang an prominente Wagniskapitalgeber wie OrbiMed Israel, Johnson & Johnson Innovation und Takeda Ventures mit von der Partie waren und dass nun in einer zweiten Runde 24 Millionen Dollar mobilisiert werden konnten. Vielleicht wird in Israel ja gerade das Ende des Antibiotika-Zeitalters eingeläutet.