Hip-Hop

Mit Sturmmaske und Schläfenlocken

Meint es todernst: US-Rapper BLP Kosher Foto: PR

Hip-Hop

Mit Sturmmaske und Schläfenlocken

Das neue Album des Rappers und Internetphänomens BLP Kosher zeigt überraschende Tiefe

von Yannik Gölz  15.08.2024 10:14 Uhr

Judentum und Hip-Hop teilen keine glorreiche Historie. Es gibt die Beastie Boys und Drake, aber sonst? Es gab in diesem Genre mehr antisemitische Zwischenfälle, als es berühmte jüdische Rapper gibt. Vielleicht erklärt das, warum bisher kaum jemand aggressiv als Rapper das Judentum repräsentiert hat. Jetzt gibt es einen.

Sagen wir es, wie es ist: Der Junge sieht ein bisschen aus, als würde er das alles nicht ernst meinen. Er trägt Schläfenlocken, aber stilisiert, wie Afroamerikaner in Florida ihre Haare machen. Außerdem guckt er immer ein bisschen so, als würde er sinnieren, ob daheim der Herd noch an ist. In Zeiten, in den Leute sich mit dummen Gimmicks Rap-Karrieren erschleichen wollen, würde sich das leider nur zu gut einfügen: Haha, ein Schnösel von der Privatschule macht auf Gangsterrapper. Haha, zwei Rentner, die auf Partyrap machen. Haha, der Jude macht auf Gangmitglied.

Der Twist ist: BLP Kosher meint es todernst. Mit dem Release seines zweiten Studioalbums Scarecrow beweist er, dass er kein Witz ist, nur weil er witzig ist. Die letzten Jahre standen für ihn krude Pointen und Internethumor im Zentrum. Zwischen Absurdismus und unorthodoxem Erscheinungsbild hätte man fast übersehen können, dass er ein wirklich starker Rapper ist; und auf dem neuen Album legt er erst richtig los. Er rappt, er singt, er experimentiert mit Genres. Das Leben eines Juden in Florida ist absurd – und er hat Geschichten zu erzählen, die man nur mit Humor verdauen kann.

Als Teenager hat er es trotz instabiler Jugend zum semiprofessionellen Skater gebracht, bevor zwei Freunde mit ihm eine Rapcrew gründen: Charmane und Jew Shiesty sind ihre Namen, beide haben sich Davidsterne tätowiert und beeindrucken BLP damit, dass ihnen wirklich völlig egal ist, was die Welt von ihnen denkt. Durch sie wird aus seinem Skater-Namen BLP der Rappername BLP Kosher, gemeinsam sind sie die Dreidel Gang – und sie wecken in ihm Glauben, dass er wirklich etwas erreichen könnte.

Kosher ist das letzte Mitglied der Dreidel Gang, trotzdem ist dieser Name bis zu seinem neuen Album als Label gelistet.

Kurz darauf sterben sie beide, auch davon rappt BLP Kosher. Die genauen Umstände bleiben unklar. Kosher ist das letzte Mitglied der Dreidel Gang, trotzdem ist dieser Name bis zu seinem neuen Album als Label gelistet. Er will nicht in Trauer versinken, er will gerade für sie zeigen, dass diese Idee kein Witz war. Mancher Track auf seinem neuen Album gerät emotional oder regelrecht politisch.

Auf dem Intro »Hour Glass« redet er Klartext: »The charity is part of the law and it says that we canʼt be materialistic / I know ʼbout rabbis who sleep on the couch, the media talks ʼbout the richest« (Wohltätigkeit gehört zum Gesetz, wir dürfen keine Materialisten sein / ich kenne Rabbis, die auf Sofas schlafen, während die Medien über unseren Reichtum sprechen) und entkräftet Stereotype.

Das sind klare Ansagen an eine Rapszene, die genau das hören muss. Und es steht ihm wunderlicherweise kein bisschen im Weg: Seine Videos klicken sich millionenfach. Weltstar Camila Cabello holt ihn auf ihr neues Album, der legendäre Produzent DJ Premier arbeitete ihm einen Beat zu. Scarecrow zementiert die Kraft, sich überhaupt nichts sagen zu lassen. Kosher ist objektiv ein schräger Vogel. Er ist ein untypischer Protagonist für eine Rap-Erfolgsgeschichte. Aber gerade das macht ihn so inspirierend: Der Gegenwind kann ihn nicht aufhalten. Er nimmt sich die Chance, seine Geschichte genau so zu erzählen, wie er es will.

BLP Kosher: »Scarecrow«. Encore Recordings 2024

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025