Philosophie

Mit Sartre gegen die Enge

Vincent von Wroblewskys Autobiografie »Vermutlich Deutscher« ist ein kleines Meisterwerk

von Marko Martin  17.04.2024 09:30 Uhr

Vincent von Wroblewsky (84) Foto: imago/Manfred Segerer

Vincent von Wroblewskys Autobiografie »Vermutlich Deutscher« ist ein kleines Meisterwerk

von Marko Martin  17.04.2024 09:30 Uhr

Dass Autobiografien, insbesondere solche abenteuerlicher Prägung, mit der letztendlich dann doch erfolgten Ehrung des Helden beginnen, ist nichts Neues. Gerade deshalb lässt gleich zu Beginn der Erinnerungen des 1939 in Clermont-Ferrant geborenen und in der DDR aufgewachsenen Romanisten und Sartre-Experten Vincent von Wroblewsky der modeste, ja verwunderte Ton aufhorchen: Ist das wirklich er, der da im März 2015 in der Französischen Botschaft zu Berlin zum »Chevalier l’Ordre des Arts et des Lettres« geschlagen wird – und das just an einem Abend, der dem Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano gewidmet ist? Die Rede, die er vielleicht hätte halten mögen, wurde damals nicht gehalten, stattdessen liegt nun diese wunderbare Autobiografie vor.

Wroblewsky wurde in Frankreich geboren und wuchs in der DDR auf

Vermutlich Deutscher zitiert einen französischen Behörden-Eintrag nach der Befreiung Frankreichs, als der Junge nicht mehr von seinen – mehr oder minder – Landsleuten umgebracht werden konnte. Seine Eltern, jüdische Antifaschisten kommunistischer Provenienz, waren 1933 aus Hitlerdeutschland geflohen; der Vater, in Berlin unter anderem für die Sicherheit von Ernst Thälmann zuständig, war dann jedoch bereits im Herbst 1944 verstorben.

Die Mutter – die ihn während der Besatzung geschützt hatte, indem sie das herausgekrähte »Wie?« des Kindes lautstark in ein »Oui!« um-kommentiert hatte, um die auf einem Bahnhof patrouillierenden Wehrmachtsoldaten nicht misstrauisch werden zu lassen – zog 1950 mit ihm in die DDR.

Feinfühlig beschreibt ihr Sohn, wie sie vieles, so unter anderem auch die Flucht jüdischer Gemeindemitglieder von Ost- nach West-Berlin, in seiner ganzen Tragweite gar nicht wahrnahm, jedoch all das im SED-Staat sofort wieder aufkommende Militaristische sarkastisch als »GN« bezeichnete – »gojim naches« beziehungsweise »germanische Neigungen«.

Kein Zufall deshalb, dass sich Vincent von Wroblewsky nach dem Abitur auf das Studium der Romanistik verlegt, im damals in der DDR trotz pro-kommunistischen Engagements noch misstrauisch beäugten Jean-Paul Sartre das Freiheitspotenzial entdeckt – und überdies im In- und Ausland spannende Dolmetscher-Aufträge erhält.

Die Stasi observierte ihn in der »Aktion Schlange«

Während ihn die Stasi, die sich keinen rechten Reim auf seine Existenz machen konnte, jahrelang in der »Aktion Schlange« observierte. Der Autor, weit entfernt, damit zu prunken, aber schreibt: »Die Stasi überschätzte maßlos meine Gefährlichkeit und meinen Willen, Partei und Regierung vom Sockel ihrer Macht zu stürzen.«

Stattdessen sammelt er Fußnoten zur deutsch-deutschen Geschichte, wie sie sonst wohl nirgends zu finden sind. Etwa jene aus dem Ost-Berliner »Globke-Prozess«, den man 1963 – in Abwesenheit des Angeklagten – dem Chef des Bonner Bundeskanzleramtes machte. Freilich trug die DDR gleichzeitig Sorge, dass die Nachrichten über die Anklage Globkes auf Beihilfe bei den Nürnberger Gesetzen die verbündeten arabischen Staaten im Nahen Osten nicht erreichten.

So wurde in diesem Fall nichts über Funk gesendet, während Israel die Nachrichten lediglich still und heimlich per Kabel erhielt. 1972 sieht von Wroblewsky dann voll Entsetzen in den Straßen von Damaskus riesige Werbeplakate für Nazifilme, mitsamt Hakenkreuzen. Umso herzlicher danach seine Erfahrungen in Israel, an der Seite des berühmten Gelehrten Shlomo Avineri.

Und Jean-Paul Sartre? Nach dem Ende einer Konferenz in Helsinki verpasst es Wroblewsky um Haaresbreite, den Philosophen persönlich zu treffen, musste er doch als Dolmetscher sogleich wieder für den Rückflug bereit sein – alles andere wäre von der DDR als »Versuch der Republikflucht« kriminalisiert worden.

Wie es ihm dann dennoch gelang, Sartre-Bücher in der DDR publizieren zu lassen, wie er schließlich ab 1991 in der Nachfolge des legendären Traugott König im Rowohlt Verlag zum Sartre-Herausgeber und -Übersetzer wurde – das lese jede/jeder am besten selbst. Diese immens informative und dabei wohltuend uneitle Autobiografie bezeugt auf denkbar sympathische Weise, dass Stil nicht nur eine Frage des guten Geschmacks ist – sondern auch des menschlichen Anstands.

Vincent von Wroblewsky: »Vermutlich Deutscher«. Merlin, Gifkendorf 2023, 259 S., 28 €

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