TV-Tipp

Mit Nazi-Uniform und Stechschritt durch New York

US-Naziparade in New York (1939) Foto: picture alliance/United Archives

Der faschistische Amerikadeutsche Bund und sein selbsternannter »Führer« Fritz Julius Kuhn zelebrierten im Februar 1939 in New York den Höhepunkt der amerikanischen nationalsozialistischen Bewegung. 22.000 Anhänger hatten sich im Madison Square Garden bei einer Veranstaltung nach dem Vorbild der Nürnberger Parteitage versammelt. Heftige Proteste der Gegner begleiteten das Treffen, 1700 Polizisten waren im Einsatz.

Was hatte es mit dem »Führer von Amerika« auf sich, fragt die Dokumentarfilmerin Annette Baumeister in ihrem Beitrag »Geschichte im Ersten: The American Führer - Hitlers unliebsamer Doppelgänger«. Das Erste strahlt den Film am 13. Juni ab 22.50 Uhr aus. Baumeister, die vielbeachtete Beiträge über »Die Stasi auf dem Schulhof« oder die in Chile aktive Sekte Colonia Dignidad machte, stellt mit ihrem neuesten Beitrag einen wenig bekannten Aspekt der amerikanischen Geschichte vor - mit einigen interessanten Querverbindungen zur Gegenwart.

Der deutschstämmige Amerikaner Kuhn, Chemiker von Beruf, wurde 1896 in München geboren und starb 1951 ebenfalls dort. Der Kleinkriminelle und Hochstapler wanderte 1924 aus Deutschland aus und gelangte über Mexiko schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort versuchte der überzeugte Anhänger Adolf Hitlers, die NS-Ideologie mit amerikanischem Rassismus zu verknüpfen. Ein Mittel waren Kontakte zum rechtsextremen Ku-Klux-Klan. Ein weiteres: Feriencamps für Jugendliche, die Kuhn zu Propagandazwecken filmen ließ.

Baumeister nutzt dieses Material und kombiniert es mit Einschätzungen der Historiker Bradley W. Hart, Arnie Bernstein und James Calaski sowie deren Kollegin Cornelia Wilhelm. Zusätzlich setzt sie auf eine zweite Hauptfigur, den ebenfalls deutschstämmigen John C. Metcalfe. Der schleuste sich als Undercover-Journalist in Kuhns Bund ein. Seine Berichte in der »Chicago Daily Times« trugen mit dazu bei, dessen Machenschaften vor einem großen Publikum auszubreiten.

Die Filmemacherin befragte dazu Metcalfes Sohn Howard, der sich erstmals vor der Kamera über seinen Vater und dessen keineswegs ungefährliche Recherche äußert. Für sie sei es faszinierend gewesen, welch unterschiedliche Wege die zwei Männer mit Wurzeln in Deutschland genommen hätten, sagt Baumeister. Die Arbeit von Metcalfe zeige zudem, »dass mutiger und akribischer Journalismus etwas erreichen kann«.

Kuhn selbst spielte während seines Aufstiegs geschickt auf der Klaviatur der Medien und wirkt darin den Populisten unserer Tage durchaus verwandt. Während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin gelang es ihm, bei einem kurzen Termin in der Reichskanzlei Adolf Hitler eine Spende des Amerikadeutschen Bundes für das NS-Winterhilfswerk zu überreichen. Dabei entstand ein gemeinsames Foto mit seinem Idol. Kuhn schlachtete das Bild in den USA propagandistisch aus und behauptete, Hitler habe ihn beauftragt, den Kampf in Amerika fortzusetzen - was in dieser Aufbauphase des nationalsozialistischen Regimes zu diplomatischen Irritationen beiderseits des Atlantiks führte.

Letztlich war es die mediale Präsenz, die Kuhn kurz nach seinem umjubelten Auftritt in New York zum Verhängnis wurde. Das FBI nahm Ermittlungen auf und inhaftierte ihn. Nicht etwa wegen seiner Hetzreden gegen Juden, denn die waren aus Sicht der Zeitgenossen durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Sondern wegen Steuerbetrugs und Veruntreuung. 1943 wurde er als »feindlicher Ausländer« interniert und Ende 1945 nach Deutschland überstellt. Zwei Jahre Haft folgten. Kuhn starb 1951 verarmt und fast unbekannt.

Kuhns Organisation sei keineswegs harmlos gewesen, betonen die von Baumeister befragten Historiker. Verglichen mit dem, was sich zeitgleich in Deutschland und Europa abspielte, bleibt der »Führer von Amerika« freilich eine skurrile Randfigur. Sein Aufstieg und Fall zeigt aber, wie leicht derartige Figuren ihr Publikum finden, welche Rolle dabei Medien spielen und wie schwer es in demokratischen Gesellschaften fällt, die Grenzen der Meinungsfreiheit zu ziehen. Das, so resümiert Filmemacherin Baumeister, mache Kuhn und seine Geschichte für die TV-Zuschauer von heute interessant und relevant.

»The American Führer - Hitlers unliebsamer Doppelgänger«. Dokumentarfilm von Annette Baumeister. Das Erste, Mo 13.06., 22.50 - 23.35 Uhr.

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Berlin

Von Herzl bis heute

Drei Tage lang erkundet eine Tagung, wie der Zionismus entstand und was er für die jüdische Gemeinschaft weltweit bedeutet

 20.11.2024

Antisemitismus

»Verschobener Diskurs«

Nina Keller-Kemmerer über den Umgang der Justiz mit Judenhass und die Bundestagsresolution

von Ayala Goldmann  20.11.2024